Die oberste Einteilung der Philosophie ist die in: theoretische Philosophie und praktische Philosophie. Im Folgenden soll der Unterschied erläutert werden. Dazu werfen wir einen Blick auf die Anfänge der Einteilung in philosophische Disziplinen. Danach geht es darum, weshalb eine Einteilung auch heute noch sinnvoll ist. Insbesondere für Studierende der Philosophie 🤓 schaffen die beiden Bereiche einen ersten Überblick. Zuletzt wird gezeigt, wie sich die philosophischen Disziplinen den jeweiligen Bereichen zuordnen. Was zeichnet die theoretische Philosophie und die praktische Philosophie im Einzelnen aus?
Hinweis: In der Philosophie ist alles kontrovers, auch so allgemeine Dinge wie ihre Einteilung. Daher versteht sich dieser Beitrag nicht als »einzig wahre Antwort«, sondern eine Arbeitsgrundlage, um sich der Philosophie anzunähern. Für eine weitere Annäherung, siehe: Was ist Philosophie?
Theoretische und praktische Philosophie · einfach erklärt
Zusammenfassung: Im philosophischen Diskurs hängt alles mit allem zusammen. Doch weil wir nicht gut über »alles« reden können, hat sich eine Unterteilung der Philosophie in bestimmte Bereiche als sinnvoll erwiesen. Viele philosophische Teildisziplinen, die heute noch bestehen – wie Ethik, Logik, Naturphilosophie – gehen auf Aristoteles (384-322 v. Chr.) zurück. Er begann damit, die Philosophie als Wissenschaft zu behandeln und auf ihre Ziele hin zu untersuchen.
So gilt als Ziel der theoretischen Philosophie das Herausfinden oder Verstehen in Bezug auf Dinge, die sind. Das Ziel der praktischen Philosophie ist das Herbeiführen oder Handeln in Bezug auf Dinge, die sein sollen. Heute hat sich die Unterteilung zwischen Theoretischer und Praktischer Philosophie institutionell etabliert. In vielen philosophischen Instituten gibt es jeweils eigene Professuren für die beiden Bereiche.
Begriffliche Herleitung · Definitionen
Wie so viele unserer Begriffe lassen sich auch »theoretisch« / »Theorie« und »praktisch« / »Praxis« etymologisch auf griechische Wörter zurückführen. Diese Herleitung verschafft ein erstes Verständnis von der Bedeutung des Begriffspaars.
📍 Das deutsche Wort »Theorie« geht auf das griechischen Wort ἡ θεωρία (hē theoría) zurück. Es bedeutet: die Anschauung, Betrachtung, Überlegung.
📍 Das deutsche Wort »Praxis« geht auf das griechische Wort πρᾶξις (prâxis) zurück. Es bedeutet: die Handlung, Tat, Verrichtung.
Die Theorie will herausfinden, was der Fall ist. Die Praxis will etwas herbeiführen, was noch nicht der Fall ist. Beziehungsweise dafür sorgen, dass etwas bleibt und nicht vergeht. Ganz grob kann man sagen: Theorie verhält sich zu Praxis wie »Sein« zu »Sollen«.
Prof. Dr. Hoyningen-Huene, Einführung in die Theoretische Philosophie (YouTube, 2013)
Anfänge der Einteilung
Die Philosophie in Europa ist nichts weiter als eine Reihe von Fußnoten zu Platon. 💭 Dieser berühmte Gedanke stammt von Alfred Whitehead. Das ist der Mann, der an anderer Stelle schrieb: »Wissen hält sich keinesfalls besser als Fisch.« Damit das Wissen um die oberste Einteilung der Philosophie nicht schlecht wird, sei es auch hier noch einmal aufgefrischt.
Tatsächlich ist Aristoteles der Erste in jener Reihe von Fußnoten zu Platon. Und zwar als dessen berühmtester Schüler. Zu Platons Zeit, im 5. Jahrhundert vor Christus, da behandelte man die Philosophie als Ganzes. Platons »Idee des Guten« zum Beispiel (ein zentrales Element in Platons Ideenlehre, veranschaulicht im Höhlengleichnis), ist die Ursache und der Auslöser von allem Seienden sowie allem Handeln. Hier nahm Aristoteles nun eine Unterteilung vor.
[Aristoteles] unterschied theoretische und praktische Philosophie anhand ihrer Ziele. Das Ziel der theoretischen Philosophie sei das Verstehen [des Seienden], das der praktischen Philosophie das Handeln. Theoretische Fragen, so meinte Aristoteles, gehen wir aus reinem Erkenntnisdrang nach und nicht aus praktischen Interessen, praktische Fragen stellen wir dagegen, wenn wir wissen wollen, wie wir handeln sollen.
Johannes Hübner, in: Einführung in die theoretische Philosophie, S. 1
Theoretische und praktische Philosophie · Themen
Damit lässt sich der Unterschied zwischen dem, was theoretische und praktische Philosophie im Kern unterscheidet, an zwei allgemeinen Fragerichtungen aufzeigen. Die theoretische Philosophie fragt: Was kann ich wissen? Die praktische Philosophie fragt: Was soll ich tun?
Mit dem Gedanken einer praktischen Philosophie setzt sich Aristoteles erneut von Platon ab, hier von dessen Vorhaben einer Einheitsphilosophie, die er vor allem in der Politeia mit einer letztlich praktisch-politischen Ausrichtung verbindet. Dort wird die gesamte Philosophie Platons zu einer praktischen Philosophie.
Im Gegenzug setzt sich Aristoteles dafür ein, daß große Bereiche der Philosophie von jeder praktischen Intention freigesetzt werden. Weniger der Gedanke einer wahrhaft praktischen als der einer rein theoretischen Philosophie ist typisch Aristotelisch. Für Aristoteles bedeutet »Theorie« nicht jedes relativ grundsätzliche Wissen, sondern allein dasjenige, das um seiner selbst willen gesucht wird.
Otfried Höffe, in: Aristoteles: Die Hauptwerke. Ein Lesebuch, S. 286-287
Aristoteles hat sich für alles interessiert: Biologie, Politik, Rhetorik, das Wetter. 🌦 Sein Einfluss auf die Nachwelt ist kaum zu überschätzen. Jeden Gegenstand seines Interesses hat er mit einem wissenschaftlichen Anspruch betrachtet. Das machte es nötig, diese Gegenstände zu differenzieren. So nahm Aristoteles auch eine Einteilung der Philosophie vor. Diese hat sich über viele Generationen und Jahrhunderte hinweg erstaunlich wacker gehalten hat. Es ist egal, ob du an einer Uni lernst und via Selbststudium. Wer sich in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts – rund 2500 Jahre nach Aristoteles – mit Philosophie beschäftigt, wird diese in Disziplinen kennenlernen, die zum Teil noch auf den antiken Denker zurückgehen.
Tipp: Hier geht es zu einem Beitrag über Metaphysik und Tugendethik bei Aristoteles.
Erstkontakt mit der Philosophie
Als Student der Philosophie an der FernUni Hagen lernte ich das Fach direkt in den Bereichen theoretische Philosophie und praktische Philosophie kennen. Diese oberste Einteilung und die weitere Auffächerung in Disziplinen (Sprachphilosophie, Rechtsphilosophie etc.) erscheint insbesondere beim Erstkontakt mit der Philosophie schlichtweg notwendig. Sonst wäre ich von dem gewaltigen Themenspektrum und Literaturkanon der Philosophie erschlagen (oder zumindest abgeschreckt) worden.
Das Kursheft Einführung in die Theoretische Philosophie anhand ihrer Disziplinen (siehe: PDF-Vorschau) bildet den Leitkurs des Moduls P1. 📒 Prof. Dr. Hubertus Busche erläutert darin einleitend die Unterteilung von Wissenschaftsdisziplinen durch Aristoteles. Außerdem nennt er Vorteile und Nachteile einer Einteilung der Wissenschaften in fachspezifische Disziplinen. Mit dem Modul P2 📒 geht eine Einführung in die Praktische Philosophie durch Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann einher (siehe: Inhaltsverzeichnis des Kursheftes). Hoffmann betont darin, dass sich die praktische Philosophie nicht um praktische Fragen des Lebensalltags dreht. Stattdessen nehme sie »eine ganz eigene Perspektive« auf menschliche Praxis im Allgemeinen ein. Dabei stünden die Zwecke und Ordnungen des Handelns ebenso im Fokus, wie die Voraussetzungen, überhaupt Handeln zu können. Dazu gehöre vor allem die Freiheit als zentrales Thema der praktischen Philosophie.
📍 Das Fach Philosophie unterteilt sich also in die Bereiche theoretische und praktische Philosophie. Diese fächern sich wiederum in Disziplinen oder Teilbereiche auf. Nach welchen Kriterien respektive Fragerichtungen wird diese Auffächerung vorgenommen?
Theoretische Philosophie
Die theoretische Philosophie fragt Dinge wie: Was ist das Sein? Ist die Welt alles, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, oder noch mehr? Woher kommt unser Wissen? Wer sind wir überhaupt? Es geht um Erkenntnisse. Ziel ist es, die Welt in all ihren Erscheinungen besser zu verstehen. Darunter fallen – mit eigenen Fragen oder Themenbereichen – zum Beispiel folgende Disziplinen.
- Erkenntnistheorie: Was können wir wissen und woher?
- Metaphysik: Warum gibt es etwas und nicht nichts?
- Sprachphilosophie: Besteht unser Wissen nur aus leeren Begriffen?
- Philosophische Anthropologie: Was ist der Mensch?
Praktische Philosophie
Die praktische Philosophie fragt hingegen Dinge wie: Wie soll ich handeln? Was ist Freiheit und was haben die Anderen damit zu tun? Es geht also um praktisches Handeln. Nicht »praktisch« im Sinne von »praktisches Taschenmesser« – wie gesagt – sondern menschliche Praxis als Gegenstand, auf den Philosoph*innen ihren Fokus richten, Das machen sie mit dem Ziel, die menschliche Praxis zu untersuchen, verstehen und verbessern. Die praktische Philosophie will mehr sein als eine deskriptive Wissenschaft, die Zustände beschreibt. Sie erhebt den Anspruch einer normativen Wissenschaft. Das heißt: eine Wissenschaft, die Regeln aufstellen kann. Eine Wissenschaft, die unserem Handeln den Weg weist. Auch die praktische Philosophie unterteilt sich in weitere Disziplinen. Zum Beispiel:
- Ethik: Was ist moralisch richtig? (Kerndisziplin der praktischen Philosophie · mehr dazu)
- Rechtsphilosophie: Was ist Recht und was hat es mit Gerechtigkeit zu tun?
- Politische Philosophie: Wie rechtfertigt sich Staatsgewalt – und wird das noch was, mit dem Frieden?
Es gibt auch Disziplinen, die sich nicht einordnen lassen wollen, in die theoretische Philosophie oder die praktische Philosophie. Dazu gehören etwa die Ästhetik, die Logik oder die Philosophiegeschichte. Man kann nur noch einmal daran erinnern, dass nichts in der Philosophie jemals ausdiskutiert und final entschieden ist. Das Fragen und Ordnen geht immer weiter.
Schlussgedanken
Beide Teilbereiche der Philosophie sind hier nur angerissen. Sie füllen immerhin ganze Bibliotheken, die in keinem Menschenleben mehr durchzulesen sind. Wohl aber von künstlicher Intelligenz. Für mich ist das eine der spannendsten Fragen der Zukunft: Kann künstliche Intelligenz in den menschlichen Erkenntnissen der vergangenen Jahrtausende Antworten finden, die zu tief vergraben oder zu weit verstreut sind, um sie mit einer menschlichen Lebensspanne und Gehirnkapazität zu entdecken?
Antworten also auf Fragen der theoretischen Philosophie. Warum es uns oder vielmehr überhaupt etwas gibt? Und auf Fragen der praktischen Philosophie, beispielsweise, wie wir handeln sollen? Ob künstliche Intelligenz dabei unsere Vorstellungen von Moral oder Gerechtigkeit über den Haufen wirft und das Recht des Stärkeren proklamiert? Der Cyborgs oder Roboter womöglich? Mag sein. Mutet aber allzu menschlich gedacht an. Vielleicht ist gelebte Gerechtigkeit gar keine ganz so komplexe Angelegenheit, wie es einer von Gier, Geiz und Geltungssucht vernebelten Menschheit erscheint. Doch ich drifte ab…
Tipp: Hier geht’s zur Buchkritik von Richard David Prechts Essay Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens (2020).
Wie lassen sich die Bereiche des praktischen und des theoretischen Wissens nach Aristoteles unterscheiden? Ist der umrisshafte Charakter des praktischen Wissens ein Mangel?