Aristoteles’ Philosophie

Dieser Beitrag behandelt die Themen Metaphysik und Tugendethik bei Aristoteles, dem berühmtesten Schüler von Platon. Aristoteles lebte im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, in der Antike. Trotzdem sind insbesondere seine Gedanken zur Ethik noch heute relevant. Im Folgenden liegt der Fokus auf der Nikomachischen Ethik. Doch vorweg klären wir Fragen zur Metaphysik: Was bedeutet der Begriff? Worum geht’s in der Disziplin? Und welchen Einfluss hatte Aristoteles auf diese Disziplin?

Während Platon der athenischen Hocharistokratie angehörte und ein angesehener Bürger war, kam Aristoteles gebürtig nicht aus Athen und galt dort als Metöke. Das heißt, wie im Beitrag zur sokratischen Methode erwähnt, dass er in dem Stadtstaat keine Bürgerrechte innehatte. Das mag ein Grund dafür gewesen sein, dass Aristoteles die Welt in einem anderen Licht sah als sein Lehrer Platon – was sich in auch in der Philosophie von Aristoteles widerspiegelt. Etwa in seinen Gedanken zur Metaphysik.

Hinweis: Auf YouTube ist der Beitrag Metaphysik bei Aristoteles als Video verfügbar.

Metaphysik bei Aristoteles

Zunächst ganz allgemein gefragt: Was ist Metaphysik überhaupt? Das Grosse vollständige Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste aus dem 18. Jahrhundert schreibt über das Wort »Metaphysik« (bzw. Metaphysick), es sei von Philosophen aller Zeiten verschiedentlich verwendet worden und könne daher »nicht überhaupt erklärt werden.« Eine derart vage Definition findest du öfter. So lautet etwa der erste Satz zum Stichwort »Metaphysik« in der Stanford-Enzyklopädie zur Philosophie: Es sei nicht leicht zu sagen, was Metaphysik ist. Ein Lexikon-Eintrag also, der damit beginnt, die Erwartungen der Wissbegierigen auf den Boden der Tatsachen zu holen. Falls es einen solchen Boden überhaupt gibt. Zerlegen wir den Begriff erstmal in seine Bestandteile.  

Der Begriff »Metaphysik«

»Metaphysik« setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern metá (μετά) – jenseits, und phýsis (φύσις) – Natur. Die Metaphysik umfasst also die Dinge jenseits der Natur. Alles, was wir nicht mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen oder empirisch (also durch Beobachtung) erfassen können, fällt in den Bereich der Metaphysik. Damit haben wir sie sogar schon als philosophische Disziplin bereits grob umrissen. Die Metaphysik gilt als Grunddisziplin der Philosophie, die sich mit Fragen rund um die »ersten Begründungen« allen Seins im Kosmos beschäftigt. Auch wenn wir diese Disziplin heute auf Aristoteles zurückführen, wurden metaphysische Ideen bereits vorher diskutiert – von Aristoteles’ Lehrer Platon, von Platons Lehrer Sokrates und selbst von einigen Vorsokratikern. Doch niemand in der Antike hinterließ ein derart durchdachtes Werk wie Aristoteles.

Was hat Aristoteles erfunden bzw. erdacht?

Aristoteles war in der abendländischen Philosophie der erste Denker, der systematisch begründete, weshalb zum Verständnis des Empirischen eine Untersuchung des Nicht-Empirischen notwendig ist. Ein früher Herausgeber von seinen Schriften war Andronikos von Rhodos. Der hat die Texte von Aristoteles sortiert und alles, was thematisch über die empirischen, physischen Naturdinge hinausreichte, bezeichnete er als Meta-Physik. Seitdem sprechen wir von der Metaphysik bei Aristoteles – als Wissenschaft, die das Seiende als Seiendes untersucht. Erklärtes Ziel: die Erlangung von Weisheit. Was ist Weisheit? Hier: Die Kenntnis erster Gründe und letzter Prinzipien. Was sind erste Gründe und letzte Prinzipien? Das gilt es zu klären. Die Metaphysik stellt so grundlegende Fragen wie: Warum gibt es etwas und nicht nichts?

Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.

Immanuel Kant: Kritik der Vernunft, A, VII.

Metaphysik bei Aristoteles

Was unterscheidet Aristoteles nun von seinen Vorgängern? An den vorsokratischen Ideen kritisierte er, dass sie empirische Dinge als Urstoff oder Ursache des Seienden anführten – Thales etwa das Wasser, Anaximenes die Luft, womit sie aus heutiger Sicht zur Naturphilosophie statt zur Metaphysik zählen. Mehr dazu im Beitrag über die Vorsokratiker. (Link folgt) Den platonischen Ideen wiederum wirft Aristoteles eine Art Verdopplung vor. Mehr zu der Kritik an seinem Lehrmeister findest du im Beitrag über Platons Ideenlehre.

Metaphysik und Ontologie

Während für Platon die wahrnehmbaren Naturdinge nur ein Widerschein denkbarer Ideen sind, gelten diese Dinge für Aristoteles selbst als etwas Seiendes. Das »Seiende« ist allerdings ein vieldeutiger Begriff bei Aristoteles. Die Lehre des Seienden wird auch als Ontologie bezeichnet. Das kann verwirren – wo ist der Unterschied zwischen Metaphysik und Ontologie?

In aller Kürze: Die Metaphysik wurde der Sache nach schon bei Aristoteles (dem Namen nach erst von Christian Wolff) unterteilt in eine allgemeine (metaphysica generalis) und eine spezielle Metaphysik (metaphysica specialis). Die allgemeine Metaphysik entspricht der Ontologie und die spezielle Metaphysik mit Themen wie dem Ewigen oder Göttlichen, grob gesagt, der Theologie – was Theologen nicht davon abhielt, einen ontologischen Gottesbeweis zu erbringen.1

Alle Menschen streben nach Wissen

Es würde hier den Rahmen sprengen, detailliert auf die Metaphysik bei Aristoteles einzugehen. Jedenfalls hatten seine Schriften einen großen Einfluss auf das Denken im Mittelalter. Darauf kommen wir im Beitrag über die Gottesbeweise bei Thomas und Anselm zu sprechen. (Link folgt) Ein passendes Zitat vom Historiker Jacob Burckhardt, mal wieder: »Die Religionen sind der Ausdruck der ewigen und unzerstörbaren metaphysischen Bedürfnisse der Menschennatur.« Doch das vorletzte Wort gebührt Aristoteles selbst, und seiner Einleitung zur Metaphysik, die da lautet:

Alle Menschen streben von Natur nach Wissen; dies beweist die Freude an den Sinneswahrnehmungen, denn diese erfreuen an sich, auch abgesehen von dem Nutzen, und vor allen andern die Wahrnehmungen mittels der Augen.

Tugendethik bei Aristoteles

Bis hierher ging es darum, wie die Dinge sind. Nun widmen wir uns der Frage, wie sie sein sollten – und damit der Tugendethik bei Aristoteles. Im Folgenden liegt der Fokus auf der Nikomachischen Ethik. Dieses Werk von Aristoteles ist mutmaßlich nach dessen Vater Nikomachos benannt.

Hinweis: Auf YouTube ist der Beitrag Tugendethik bei Aristoteles als Video verfügbar.

Das Ziel des Lebens

Im ersten Teil der Nikomachischen Ethik ermittelt Aristoteles das »Leitziel menschlichen Handelns«. In der Ethik allgemein geht’s ja um moralisches Handeln. Dazu gibt es hier einen eigenen Beitrag. (Link folgt) Aristoteles fragt nun: Warum tun wir, was wir tun? Unsere Medizin dient der Gesundheit, die Ökonomie (oder Wirtschaft) dient dem Wohlstand, aber wem dienen Gesundheit und Wohlstand?

Aristoteles benennt als das höchste Ziel unseres Handelns: das Glück. Oder: die Eudämonie, um die es auch in den nächsten Beiträgen zu Epikur und Hedonismus geht. Eudämonie ein vielschichtiger Begriff, der mit »Glück« oder »Glückseligkeit« nur dürftig übersetzt ist und je nach Konzept andere Bedeutungen mit sich bringen kann. So ist das Glück bei Aristoteles anders als im Hedonismus nicht einfach nur das wichtigste Ziel, sondern auch das allumfassende Ziel. Das Glück dient nicht noch etwas Anderem. Wir streben es um seiner selbst willen an. Aber wie erreichen wir dieses Ziel? Hier kommt die Tugend ins Spiel, oder auf Griechisch: Arete.

Der Zweck des Menschen

Im Deutschen ist der Begriff »Tugend« verwandt mit »Tauglichkeit«. Tauglich ist, was seinen Zweck erfüllt – ein Netz etwa, wenn es Fische fängt. Für Aristoteles hatte alles einen Zweck, oder eine Funktion. Was ist die besondere Funktion des Menschen? Funktionen zur Lebenserhaltung haben alle Organismen, auch Pflanzen und Tiere. Funktionen der Wahrnehmung haben Tiere und Menschen. Eine Funktion, die allein dem Menschen zukommt, ist der Logos – der uns schon im Beitrag zu den Vorsokratikern (Link folgt) begegnet ist, hier wieder gut übersetzt mit: Vernunft.

Wenn für Aristoteles das Gutsein einer Sache von der Erfüllung ihrer Funktion abhängt, und die Funktion von uns Menschen die Vernunft ist, dann tun wir gut daran, diese Vernunft zu benutzen. So wie ein Netz taugt, wenn es Fische fängt, taugt ein Mensch, wenn er denkt. Und ein tauglicher Mensch ist ein tugendhafter Mensch. In der antiken Philosophie war »Arete« der Begriff für »Tugend« – und zwar Tugend im Sinne von einem Bestzustand. Diesen können wir in jedem Charakterzug und Lebensbereich anstreben, wobei Bestzustand kein Extrem meint.

Der Mittelweg zum Glück

Aristoteles definiert Tugend als »ein Verhalten der Entscheidung, das die Mitte […] hält und durch Überlegung bestimmt wird« (NE, 1106b). Das heißt, wir überlegen uns den besten Mittelweg. Am Beispiel von Mut als Charakterzug verhalten wir uns also weder lebensmüde noch feige – die beiden Extreme von Mut, wenn wir zu viel oder zu wenig davon haben – sondern wir verhalten uns tapfer. Tapferkeit ist wohlüberlegter Mut zwischen den Extremen, und damit: eine Tugend. Noch ein Beispiel: Im Umgang mit Geld verhalten wir uns weder geizig noch verschwenderisch – sondern großzügig, denn Großzügigkeit ist eine Tugend.

Doch wer sich einmal tugendhaft verhält, hat nicht gleich einen tugendhaften Charakter. Dazu braucht es Gewohnheit: Indem wir unser Verhalten stets mit Überlegung am bestmöglichen Mittelweg ausrichten, bilden wir einen tugendhaften Charakter aus. Und ein solch tugendhafter Charakter ist es, den Aristoteles als wahre Glückseligkeit preist. So einfach!

Fußnoten

  1. Nur als Beispiel ein Blick auf die Metaphysik bei Gottfried W. Leibniz: »Legt man die von Christian Wolff (1679-1754) begründete Einteilung der Metaphysik zugrunde, so gibt Leibniz mit seiner (…) Lehre von den Monaden eine neue Antwort auf die Probleme der Ontologie oder metaphysica generalis. Was dagegen die metaphysica specialis betrifft, so (geben) die Lehrstücke von Gott als dem letzten, zureichenden Grund (…) in der rationalen Theologie ebenfalls Antworten, die nur beim ersten Anschein traditionell wirken.« – Hubertus Busche (Hg.): Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie, S. 2.

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