Das Leib-Seele-Problem

Mit diesem Fachbeitrag beginnt eine Reihe zum Leib-Seele-Problem. Das ist ein Thema aus der Epoche der Neuzeit und der Disziplin der Philosophie des Geistes. Der Fokus liegt dabei auf René Descartes und dessen Meditationen sowie Gottfried Wilhelm Leibniz und seiner Monadologie. Diese Beiträge dienen zum tieferen Verständnis, sei es für eine Klausur oder Studienarbeit zum Thema. Abschließend gibt’s weiterführende Lektüre als PDF. 📖

Hinweis: Auf YouTube ist dieser Beitrag als Video verfügbar.

Das Leib-Seele-Problem

In ihrem ersten Schreiben an Monsieur Descartes vom 6. Mai 1643 bittet Elisabeth von der Pfalz den Philosophen um eine Erläuterung. Sie will wissen, »wie die Seele des Menschen die Geister des Körpers veranlassen kann, willentliche Handlungen auszuführen (denn sie ist ja nichts als eine denkende Substanz).«1 Fünf Jahre später richtet Frans Burman eine ähnliche Frage an Renati Des Cartes und bekommt zur Antwort, dass dies schwer zu erklären sei.2

Leib-Seele-Problem · Begriffe und Kern

Damit sprechen die Prinzessin und der Theologe ein Teilgebiet der Philosophie des Geistes an, das Thema dieser Beitragsreihe. Kurz gesagt: das Leib-Seele-Problem. Genauer: die psychophysische Wechselwirkung zwischen Körper und Geist. 👻 Ausgehend von den Begriffen body und mind werden hier die Übersetzungen Körper und Geist verwendet. Damit sollen unpassende Konnotationen des Leibesbegriffes gemieden und die im Deutschen geläufige Unterscheidung zwischen Seele als Bereich des Emotionalen und Geist als Bereich des Rationalen umgangen werden. (Sofern im Original nicht explizit von Seele – lat. anima, franz. âme – die Rede ist.)

Fortan sei mit Geist übrigens der Bereich des Mentalen gemeint (lat. mens – Geist). Dieser umfasst geistige und seelische Phänomene gleichermaßen. Statt Leib-Seele-Problem ist somit vom Körper-Geist-Problem die Rede. Behandelt wird das Thema anhand des Konzepts von René Descartes (1596-1650). Außerdem, nach kritischer Auseinandersetzung mit Descartes, auch anhand des alternativen Konzepts von Gottfried W. Leibniz (1646-1716). Beide haben als Philosophen der Neuzeit dazu beigetragen, das Körper-Geist-Problem in seiner heute bekannten Form zu konturieren. Kern dieses Problems ist das Verhältnis des menschlichen Körpers zu seinem Geist.

Die Auffassung von Körper und Geist als zweierlei eigenständige Substanzen entspricht der Position des Substanz-Dualismus (lat. duālis – zwei enthaltend). Diese stellt eine von vier Hauptpositionen zum Körper-Geist-Problem dar. Sie sollen hier, ebenso wie vier Thesen zum Zusammenspiel zwischen voneinander unabhängigen Substanzen, zunächst erläutert werden. Als einer der wichtigsten Vertreter des Substanz-Dualismus definierte Descartes den Begriff Substanz im Anhang zu den zweiten Erwiderungen.

Substanz · Definition von Descartes

Substanz wird jedes Ding genannt, an dem irgendetwas unmittelbar anhaftet, bzw. durch das irgendetwas existiert, was wir erfassen, das heißt irgendeine Eigenschaft oder irgendeine Qualität oder irgendein Attribut, deren bzw. dessen Idee in uns ist. Von dieser Substanz haben wir genau genommen keine andere Idee als daß sie ein Ding ist, in dem formal oder eminent jenes Etwas existiert, das wir erfassen, beziehungsweise das objektiv in irgendeiner unserer Ideen ist. Denn es ist für das Natürliche Licht (die Vernunft) selbstverständlich, daß dem Nichts kein reales Attribut zukommen kann.

AT VII, 161 = PhB 598, 1703

Aufbau und Inhalt dieser Reihe

Vertreten wurde der Substanz-Dualismus bereits von Platon. Inwiefern sich das neuzeitliche Konzept vom antiken unterscheidet und gesagt werden kann, das Körper-Geist-Problem habe im 17. Jahrhundert zu seiner heute bekannten Form gefunden, das hängt mit einem Wandel zusammen, der (etwa von Anneliese Maier und Eduard Dijksterhuis) als »Mechanisierung des Weltbildes« bezeichnet wird. Dieser Wandel liefert, in zentralen Aspekten wiedergegeben, den historischen Kontext, der für das Verständnis von Descartes’ Konzept und Leibniz’ Kritik von Bedeutung ist. Im Anschluss an diese einleitende systematische und historische Einordnung des Themas erfolgt dessen Erörterung in drei weiteren Beiträgen.

Tipp: Hier geht es zu einem Beitrag über Platons Ideenlehre.

1) Descartes’ Konzept

Zu Beginn geht es um Descartes. Der unternimmt mit seinen Meditationen einen Neuanfang in der Philosophie, indem er das Verhältnis von Ich, Welt und Gott neu erörtert und bestimmt. Sein Anliegen ist ein Beweis für »die Existenz Gottes und die Verschiedenheit der menschlichen Seele vom Körper«. Mit der Behauptung von Seele und Körper als verschiedene Substanzen geht jedoch die Frage zur Interaktion einher: Wo und wie findet die psychophysische Wechselwirkung statt, wenn überhaupt?

Descartes erläutert sein Modell zur Interaktion in der Abhandlung Die Passionen der Seele (1649). Darin stellt er die Hypothese auf, die Epiphyse im Gehirn sei der Ort, an dem die Seele auf den Körper einwirke. 🧠 Descartes’ Motive und Argumente zur Annahme zweier Substanzen sowie sein Modell zur Wechselwirkung zwischen diesen sind Gegenstand dieses ersten »Kapitels«. Der Ansatz von Descartes wirft Probleme auf, die bereits Zeitgenossen zur Kritik veranlassten. Teils am Substanz-Dualismus allgemein, teils an der Epiphysen-Hypothese im Besonderen. Eine Analyse solcher Probleme ist, beschränkt auf einige zentrale Kritikpunkte, im zweiten »Kapitel« vorgesehen.

2) Kritik an Descartes’ Konzept

Descartes war bemüht, Gegenargumente gezielt vorwegzunehmen. Er ließ Gelehrten sein Manuskript vor der Veröffentlichung zukommen, um deren Einwände samt seiner Erwiderungen der Erstausgabe anzuhängen. Doch es erfolgten auch kritische Nachfragen von unerwarteter Seite. Etwa aus der Feder jener eingangs zitierten Prinzessin Elisabeths von der Pfalz. Detaillierter ausgeführt werden hier jedoch ausgewählte Einwände von Arnauld, Malebranche und Voetius, die einen Eindruck vom breiten Spektrum der Angriffsfläche vermitteln sollen, welche die Philosophie von Descartes seinerzeit und seither bot.

Mehrere Kritikpunkte stammten von Leibniz. Dessen Probleme mit dem cartesianischen Substanz-Dualismus will ich daher gesondert behandeln. Für das Problem der psychophysischen Wechselwirkung nahm Leibniz als erster eine Unterteilung von drei Systemen vor. Eine Rekonstruktion der Argumente gegen insbesondere das erste dieser Systeme (von Descartes) zeigt, welche Fehler Leibniz mit seiner eigenen, dritten Erklärung umgehen wollte.

3) Leibniz’ Alternativ-Konzept

Zuletzt wird schließlich das Alternativ-Konzept von Leibniz untersucht. Also die präetablierte Harmonie als Hypothese zur Erklärung der Parallelität körperlicher und mentaler Phänomene. Dazu bedarf es auch einer Analyse seiner Thesen hinsichtlich ihrer Plausibilität. Außerdem schauen wir, ob Leibniz’ Konzept die Probleme löst, die er bei Descartes gegeben sah. Darauf eine Antwort zu finden ist das Ziel dieser Beitragsreihe. Als Ausgangspunkt dient die Monadologie von Leibniz. Dessen in Weiterführung der Theorie von Descartes entworfene Hypothese der Monaden und alles-beseelenden Lichtmaterie (dem Äther), die den Hintergrund seiner Überlegungen bildet, kann hier allerdings nicht mehr dargestellt werden.

Substanzdualismus seit Platon

Der psychophysischen Wechselwirkung geht die Frage nach dem grundlegenden Verhältnis des Psychischen zum Physischen voraus. Zu dieser Frage hat es philosophiegeschichtlich auch Überlegungen gegeben, die das Problem einer Wechselwirkung zwischen Körper und Geist im Sinne unabhängiger Substanzen gar nicht erst aufkommen lassen. Diese Überlegungen haben die Position des Substanz-Dualismus seitdem aus dem Zentrum zeitgenössischer Diskussionen in der Philosophie der Gegenwart verdrängt. Dem Dualismus an sich, der von ontologisch eigenständigen Bereichen des Physischen und des Mentalen ausgeht, steht dabei der Physikalismus gegenüber. Demzufolge ist das Mentale vollständig auf das Physische zu reduzieren. Historisch haben sich derweil vier Hauptpositionen zum Körper-Geist-Problem herauskristallisiert.

Positionen zum Körper-Geist-Problem

Der Substanz-Dualismus geht – erstens – mit der Annahme eines Geistes als immaterielle, vom Körper unabhängige Substanz einher. Der Substanz-Physikalismus vertritt – zweitens – die Überzeugung, der Mensch sei ein durchweg physisches Wesen ohne immateriellen, unabhängigen Geist. Der Eigenschafts-Dualismus gibt – drittens – den Substanz-Begriff zugunsten von Eigenschaften auf. Er betrachtet nunmehr mentale Eigenschaften als ontologisch eigenständig gegenüber physischen Eigenschaften. Der Eigenschafts-Physikalismus wiederum führt – viertens – mentale Eigenschaften auf physische Eigenschaften zurück. Entweder werden sie als mit diesen identisch oder auf sie reduzierbar aufgefasst.4 Während die Eigenschaften zwar mehr Gewicht in philosophischen Auseinandersetzungen der Gegenwart einnehmen, entspricht der Substanz-Dualismus bis heute dem Glauben vieler religiöser Menschen. Er hatte historisch eine umso größere Tragweite.

Die Vorstellung, dass dem Menschen nicht nur ein Körper, sondern zudem ein immaterieller, unabhängiger und unsterblicher Geist zukomme, findet sich bereits in der Antike, bei Platon. Im Dialog Phaidon argumentiert er via Sokrates als Sprachrohr für die Unsterblichkeit des Geistes (gr. psyché). Platon definiert diese jedoch nicht eindeutig. Und er begründet die Gleichsetzung von Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit mit allgemeiner Übereinstimmung.5

Die sich daraus ergebenden Fragen zur platonischen Argumentation sind hier nicht wichtig.6 Wohl aber, dass Descartes im Kontrast zu Antike und Mittelalter die Notwendigkeit sah, »den Begriff der Seele zu definieren und einen Beweis für die vom Körper unabhängige Existenz der Seele zu geben«.7

Die Mechanisierung des Weltbildes

Die in der Neuzeit erkannte Notwendigkeit zur Bestimmung der Seele als Bereich des Mentalen ging mit einem sich wandelnden Verständnis des Körperlichen als Materie einher, die sich aus kleinsten Teilchen (Korpuskeln) zusammensetzt. Die physikalische Theorie hinter diesem mechanistischen Weltbild ist der Korpuskularismus. Er wurde unter anderem von Descartes entwickelt, demzufolge verschiedenartige Korpuskeln den gesamten Raum ausfüllen. (In seiner Lichtbrechungslehre La Dioptrique von 1637 beschrieb er auch das Licht als aus bestimmten Korpuskeln bestehend.)

Als historische Bedingungen für die Entstehung des Körper-Geist-Problems in seiner heutigen Form lassen sich wie folgt zusammenfassen.8

  • Der Naturgesetz-Begriff
  • Mathematisierung der Physik
  • Erkenntnis durch Experimente

Der Naturgesetz-Begriff

Die Naturwissenschaft bei Aristoteles war auf das Allgemeine hinsichtlich einstelliger Prädikate gerichtet. (Zur Ergründung des Wesens der Naturdinge.) Sie schloss die Bewegung eines geworfenen Steines als »naturwidrig« vom Erkenntnis-Interesse der Naturwissenschaft aus. Dagegen setzte sich im 17. Jahrhundert ein Verständnis des relational Allgemeinen durch. »Die Allgemeinheit der Naturgesetze behauptet ein Gleich-Sein der Natur an allen Orten und ein Gleich-Bleiben der Natur zu allen Zeiten«.9

Die Relationalität der Naturgesetze verortete diese Regelhaftigkeit vielmehr zwischen den Naturdingen. Folglich verlor die Wesensfrage an Geltung. Und ebenso die Unterscheidung von Naturdingen und Artefakten und die aristotelische Naturwidrigkeit. »Im neuen Sinn von Natur […], kann es aus logischen Gründen Naturwidrigkeit gar nicht geben, da sie dem Begriff des Naturgesetzes widersprechen würde.«10 Dies ist wichtig für die spätere folgende Kritik an Descartes’ Konzept.

Mathematisierung und Experimente

Mit dem Naturgesetz-Begriff ging die Auffassung einher, »Physik müsse, um strenge Wissenschaft zu werden, in Mathematik verwandelt werden«. Diese Auffassung bekam der junge Descartes bereits von dem Mediziner Isaac Beeckman vermittelt.11 Weil die Naturgesetze als Regelwerk von Relationen zwischen Dingen verstanden wurden, mussten sie sich mathematisch ausdrücken, beschreiben und experimentell nachweisen lassen. Neben dem Experiment als Erkenntnismittel prägte die Ermöglichung mikro- und teleskopischer Beobachtungen das Denken der Neuzeit.

Sie enthüllten die Existenz von Dingen, von denen noch nie jemand zu träumen gewagt hatte; dadurch begannen sie die Vermutung zu wecken, daß die Natur wohl viel reicher sein könnte, als der menschliche Geist es sich […] erträumte. Sie bildeten dadurch ein heilsames Abwehrmittel gegen die Gefahr, daß der Erfolg, welchen die mathematische Behandlung […] zu verzeichnen hatte, dazu verführen könnte, die Kenntnis der Natur kraft eigener Vernunft herleiten […] zu wollen. Daß diese Gefahr keineswegs zu unterschätzen war, wird sich bei der Behandlung der physikalischen Ideen von Descartes zeigen.

Eduard Jan Dijksterhuis12

Im nächsten Beitrag dieser Reihe soll es nicht um das Abwehrmittel gehen. Stattdessen um die Gefahrenquelle. Das heißt, um die Herleitung von Naturkenntnissen kraft des eigenen Verstandes, vollzogen von Descartes in seinen Meditationen (1641).

PDF zum Leib-Seele-Problem

Als weiterführende Lektüre gibt’s hier übrigens einige PDF zum Leib-Seele-Problem.

  • Artikel zum Leib-Seele-Problem von A. Beckermann (PDF)
  • Präsentation zum Leib-Seele-Problem von C. Hartmann et al. (PDF)
  • Studienbrief zum Leib-Seele-Problem von A. Beckermann (PDF)

Hinweis: Seitenangaben und Siglen in den Fußnoten beziehen sich auf die im Literaturverzeichnis aufgeführten Werkausgaben.

Fußnoten

  1. AT III, 661 = PhB 659, 3. Die Schriften Descartes’ werden zitiert nach der Gesamtausgabe von Charles Adam und Paul Tannery (AT, Œuvres de Descartes, 1897-1913, 11 Bde., verfügbar im Internet Archive). Als deutsche Übersetzungen liegen die Ausgaben der Philosophischen Bibliothek (PhB) des Felix Meiner Verlages zugrunde. Weitere Erläuterungen zur Zitierweise im Literaturverzeichnis.
  2. Vgl. AT V, 163, P.84.
  3. In den Principia Philosophiæ differenziert Descartes: »Unter Substanz können wir nichts anderes verstehen als ein Ding, das so existiert, daß es keines anderen Dinges bedarf, um zu existieren […], nämlich Gott. […] Die körperliche Substanz und der Geist, d. h. die denkende Substanz, können als geschaffene jedoch unter diesem gemeinsamen Begriff gefaßt werden, weil sie Dinge sind, die bloß des Eingriffs Gottes bedürfen, um zu existieren«, vgl. AT VIII, 24 = PhB 566, 57.
  4. Vgl. A. Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, S. 6ff.
  5. Vgl. Burghard König (Hg.): Platon. Sämtliche Werke, S. 170, 106d: »Gott wenigstens, sprach Sokrates, und die Idee des Lebens selbst wird wohl, wenn überhaupt etwas unsterblich ist, von jedem eingestanden werden, daß es niemals untergehe.« (Hervorhebung DJL)
  6. Mehr dazu: A. Beckermann, S. 19ff.
  7. Ebd., S. 29.
  8. Vgl. Paul Hoyningen-Huene: Einführung in die Theoretische Philosophie. Philosophie des Geistes I. Vorlesung an der Leibniz Universität Hannover. (YouTube)
  9. Paul Hoyningen-Huene: Naturbegriff – Wissensideal – Experiment. Warum ist die neuzeitliche Naturwissenschaft technisch verwertbar? In: Zeitschrift für Wissenschaftsforschung 5, S. 45.
  10. Ebd., S. 46.
  11. Vgl. Poser: René Descartes, S. 18.
  12. Vgl. Eduard Jan Dijksterhuis: Die Mechanisierung des Weltbildes, S. 435f.

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