Leibniz’ Monadologie

In diesem Fachbeitrag behandeln wir die Philosophie von Gottfried Wilhelm Leibniz, dem berühmten Universalgenie der Neuzeit und frühen Aufklärung. Leibniz war längst nicht nur Philosoph, sondern auch Erfinder, Jurist, Mathematiker, politischer Berater und mehr. Einen Eindruck seines vielseitigen Lebens vermittelt etwa das Werk Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit oder die Biografie Der berühmte Herr Leibniz.

Hier behalten wir den Fokus auf der Philosophie von Leibniz. Dazu nehmen wir dessen Monadologie sowie seine Metaphysische Abhandlung unter die Lupe. Außerdem ziehen wir, unter anderem, die Habilitationsschrift Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum von Hubertus Busche zurate.

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Leibniz’ wichtigstes Arbeitsfeld

Gottfried Wilhelm Leibniz wird 1646 in Leipzig geboren. Bereits in seinen Frühschriften der 1660er Jahre beschäftigt den jungen Leibniz das Geheimnis des fleischgewordenen Geistes. Diesen deutet er – Achtung, ist direkt wichtig! – als einen unsterblichen beseelten Punkt. »In diesem lebendigen, rein intelligiblen Punkt, der kein Objekt empirischer Beobachtung werden kann«, habe der noch nicht Zwanzigjährige »die vollkommene, widerspruchslose Versöhnbarkeit von traditioneller Geistmetaphysik und neuzeitlichem Weltmechanismus« erkannt. (Vgl. Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum, XVIII.)

Mit diesem Weltmechanismus ist die mechanische Naturerklärung der Neuzeit gemeint, über die ich ausführlicher im Beitrag über das Leib-Seele-Problem spreche. Hiermit haben wir auch schon das zeitlebens wichtigste Arbeitsfeld von Leibniz, nämlich der Versuch einer »Harmonisierung der mechanischen Naturerklärung mit der religiösen Weltdeutung«. (Ebd., S. 13.)

Dieses Ziel verfolgt er nicht zuletzt,

damit man nämlich den Geist allmählich befreit von den falschen Vorstellungen der breiten Masse der Cartesianer […] über die Materie, die Bewegung und die körperliche Substanz, sobald der Geist eingesehen hat, daß man aus jenen Größen nicht die Regeln der Kräfte und Tätigkeiten ableiten kann und daß man geradewegs entweder seine Zuflucht zu einem Deus ex machina suchen muß oder aber ein höheres Prinzip in den Körpern einsehen kann.

G II, 195 = HB, S. 12.

Dieses »höhere Prinzip in den Körpern« ist es, was Leibniz ab 1696 terminologisch als »Monade« bezeichnet. (Vgl. Hubertus Busche (Hg.): Monadologie, S. 12f. – nachfolgend HB) Gemeint sind mit Monaden eben jene beseelten, metaphysischen Punkte, die eine zentrale Rolle in Leibniz’ Gesamtwerk spielen, von besagten Frühschriften bis zur Monadologie (1714) kurz vor seinem Tod.

Zum Kernbegriff der Monadologie

Seine Monadologie oder »Monadenlehre« ist nicht von Leibniz selbst veröffentlicht worden. Vielmehr scheint er sie »für die Nachwelt geschrieben zu haben«. (Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, XVIII.)

Darin heißt es, gleich in § 1 der Monadologie: »Die Monade, von der wir im folgenden sprechen werden, ist nichts anderes als eine einfache Substanz, welche in die Zusammengesetzten eingeht; einfach, das heißt ohne Teile.« (Leibniz: Monadologie = PhB 537, 111.) Doch die Monadenlehre bleibt in ihrer knappen Paragraphenform rätselhaft. Sie liefert zu ihren Thesen kaum Begründungen. Selbst die punktuelle Struktur der Monaden wird in der französischen Fassung allenfalls angedeutet (point de parties), nicht erläutert. Daher gilt es, Leibniz’ Ansatz im größeren Kontext zu betrachten.

Was sind »einfache Substanzen«?

Zu Beginn ist es sinnvoll, mit Descartes’ Substanzbegriff im Hinterkopf die Bedeutung dessen zu klären, was Leibniz mit Monaden als »einfachen Substanzen« meint – denn darauf baut sein gesamtes System auf. In den zeitnah zur Monadologie entstandenen Principes de la nature et de la grâce fondés en raison (1714) definiert und differenziert er Substanzen wie folgt: »Die Substanz ist ein Sein, das der Handlung fähig ist. Sie ist einfach oder zusammengesetzt. Die einfache Substanz ist ohne Teile. Die zusammengesetzte Substanz ist die Ansammlung von einfachen Substanzen«. (PhB, S. 153.) Zum Realitätsgehalt von einfachen Substanzen findet sich in Leibniz’ erstem Brief an den cartesianisch geprägten Philosophen Burchard de Volder von 1704 folgendes Argument:

Erstens: Was in Vielem [plura] geteilt werden kann, besteht aus Vielem oder ist Zusammengesetztes. [P1] Zweitens: Was immer ein Zusammengesetztes aus Vielem ist, ist ein solches allein aufgrund des Geistes und hat keine Realität, abgesehen von einer geborgten Realität dessen, woraus es zusammengesetzt ist. [P2] Ergo: Was geteilt werden kann hat keine Realität, solange es nicht etwas enthält, das nicht geteilt werden kann; Zusammengesetztes hat keine Realität außer derjenigen der Einheiten [Unitatum], die darin enthalten sind. [K]

Vgl. G II, 261 = Übersetzung DL

Zusammengesetztes ist eine »ens per aggregationem«. Eine Einheit ist eine »ens per se«. So Rutherford, der das obige Argument ob seiner Gültigkeit überprüft. (Siehe: Donald Rutherford: Simple Substances and Composite Bodies (§§ 1-5). In: Hubertus Busche (Hg.): Monadologie, S. 41.)

Festzuhalten ist soweit, dass Leibniz über die Existenz von Zusammengesetztem auf die Existenz von Einheiten als einfache Substanzen (Monaden, von gr. monas – Einheit) schließt und diesen Substanzen allein Realität und Handlungsfähigkeit zuschreibt.

Transsubstantiation, auf den Punkt gebracht

In Leibniz’ Discours heißt es über »jedwede Substanz« allgemein, dass sie: nur durch Schöpfung anfangen nur durch Vernichtung vergehen kann, nicht teilbar ist, und demnach ihre Anzahl »natürlicherweise weder vermehrt noch vermindert«, wohl aber »oft transformiert« werden kann. (Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, 23.)

Noch weiter zurückgehend findet sich, in der Schrift De transsubstantiatione (1668, mutmaßlich) das entscheidende Definiens der Substanz. Transsubstantiation ist der theologische Begriff für die Wesensverwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi, genau jenes Thema, aufgrund dessen die katholische Kirche Anstoß an Descartes’ Substanzenlehre nahm und dessen Werke letztlich indexierte. »Denn gemäß der Cartesischen Physik ist eine körperliche Substanz, z. B. ein Stück Brot, nichts anderes als ein Stück Materie mit einer bestimmten Ausdehnung.« (Dominik Perler: René Descartes, S. 249.) Sollte sich die Substanz des Laibes Brot – und zwar real, nicht bloß symbolisch – in die Substanz des Leibes Christi verwandeln, müsste die Ausdehnung ebenfalls eine entsprechende Verwandlung vollziehen.

Genau dies bestreitet aber die katholische Lehre. Sie besagt, daß sich ausschließlich die Substanz verwandelt, während die spezifische Ausdehnung […] unverändert bleibt. Offensichtlich operiert die Kirchendoktrin mit einem metaphysischen Modell, das die Substanz als einen auswechselbaren, von der Ausdehnung distinkten Kern eines Gegenstandes auffaßt.

Ebd., S. 250. (Hervorhebung DL)

Leibniz’ metaphysisches Modell

Wie ist es also um Leibniz’ metaphysisches Modell in dieser Hinsicht bestellt? In De transsubstantiatione beschreibt er Substanz (1) als »ens per se subsistens« (A VI 1, 508), als »ein Seiendes, das durch sich selbst besteht«, ausgezeichnet durch Eigentätigkeit. »Nun bestehen aber bloße Körper gerade nicht durch sich selbst, sondern durch andere, da sie aufgrund ihrer Trägheit alle Bestimmtheit wie Größe, Figur, Ausdehnung oder Bewegung durch andere Körper erhalten«, so Busche.

Die Substanz identifiziert der frühe Leibniz mit (2) demjenigen Seienden, welches das Prinzip der Tätigkeit (principium actionis) in sich hat. Er schreibt eine solche Eigentätigkeit, im Zeitraum von 1668 und 1678, noch ausschließlich dem menschlichen Geist zu (HB, S. 19). Nichtsdestotrotz bemerkt er, dass (3) jede Tätigkeit eines Körpers auch mit dem Prinzip der Bewegung (principium motum) einhergehe. Folglich habe (4) kein Körper, abgeschnitten vom mitwirkenden Geist (mente concurrente), das Prinzip der Bewegung in sich, und sei somit (5) auch keine Substanz.

Wenige Schritte später lautet (8) der Umkehrschluss, »Substanz ist die Vereinigung mit dem Geist. Und so, wie die Substanz des menschlichen Körpers die Vereinigung mit dem menschlichen Geist ist; ist die Substanz vernunftmangelnder Körper die Vereinigung mit dem universalen Geist oder Gott« (Vgl. A VI 1, 508f. = Übersetzung DL). Diese Vereinigung mit einem Geist ist das, was jenes »Definiens der Substanz ausmacht« (HB, S. 20).

Urfassung der Monade

Noch weiter in der Biografie Leibnizens zurückgehend, zu einer schematischen Zeichnung (1663, mutmaßlich), die als »Initialschema« (Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum, S. 58) oder »Urfassung der Monadenkonzeption gelten darf« (HB, S. 14), lässt der vermutlich gerade Siebzehnjährige einen wichtigen Aspekt der punktuellen Struktur seiner einfacher Substanzen durchblicken, die er später als omnipräsent beschreiben wird. Besagtes Schema aus der Jugendzeit veranschaulicht den menschlichen Geist als »im Gehirn zu lokalisierende geometrische Struktur« (Ebd.).

Verkürzt und vereinfacht formuliert: ein Fünfeck, entsprechend der fünf Sinne, darin eingefasst ein größerer Kreis für die Sinnensphäre, »deren Reizung eine notwendige Bedingung für Empfindungen ist«, und darin wiederum ein innerer Kreis für den Verstand bzw. die Intellektualsphäre. (Vgl. Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum, S. 57ff.)

Innerhalb dieser sphaera intellectus strahlen feine Radien aus dem rein intelligiblen, mathematischen Mittelpunkt in den physischen Punkt aus, der »durch den Horizont der Intellektualsphäre begrenzt« ist. (Vgl. Ebd., S. 64.) An deren Peripherie werden die Radien, die den Tätigkeiten des Geistes – wie das Deduzieren oder Zweifeln – entsprechen, dann reflektiert.

Der originelle […] Ansatz der Leibnizschen Metaphysik besteht […] darin, daß sie zum einen jene obengenannte Vereinigung mit einem Geist […] ganz platonisch als »Idee« auffaßt, zum anderen aber die Ideen […] mit jenen Winkeln identifiziert, die bei der Ausstrahlung des mathematischen Mittelpunktes in die Peripherie gebildet werden.

HB, S. 20.

Lokalisierung der Monade

Was Leibniz indes unterlässt, ist eine anatomische Lokalisierung dieses ohnehin nicht empirisch erfassbaren Punktes. Descartes, zur Erinnerung, verortete die Stelle, wo »die Seele und der Körper aufeinander einwirken« (Artikel 34) in der Epiphyse, erfüllt und umgeben von korpuskularen Lebensgeistern.

Fügen wir hier hinzu, daß die […] Drüse, die der Hauptsitz der Seele ist, solcherart zwischen den Hohlräumen aufgehängt ist, die diese Spiritus enthalten, daß sie durch sie auf ebensoviel verschiedene Weisen bewegt werden kann, wie es wahrnehmbare Verschiedenheiten an den Objekten gibt, aber die Drüse auch durch die Seele verschieden bewegt werden kann.

PhB 663, 24.

In De incarnatione Dei seu De unione hypostatica (1669-70, mutmaßlich) schreibt auch Leibniz, man solle nicht denken, im menschlichen Körper sei die »Seele« hypostatisch mit allen Korpuskeln vereint, da sich diese ständig veränderten. Dass die »Seele« aber fest und untrennbar der Mitte des Gehirns (centro cerebri) innewohne (vgl. A VI 1, 533). »Allerdings hütet sich Leibniz, den […] Punkt der Geistseele […], wie Descartes in einem bestimmten Gehirnorgan zu lokalisieren.« (Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum, S. 67.)

Zur etwa selben Zeit schrieb er in einer Randbemerkung zu Refutatio obectionum dan Zwickeri contra trinitatiatem et incarnationem Dei, dass die Substanz des Körpers (bzw. das darin enthaltene Prinzip der Tätigkeit) in mehreren Orten (in pluribus locis) sein könne, da es unkörperlich und immateriell sei. Der ungeteilte Körper hingegen vermöge eben nicht an mehreren Orten zu sein. (Vgl. A VI 1, 531, Anm. 6 zu § 12.)

Leibniz’ theologischer Erfolg

Vor diesem Hintergrund lässt sich nun, biografisch wieder vorangesprungen zur Schrift De transsubstantiatione, »der größte Erfolg der theologischen Argumentation des jungen Leibniz« lesen. Und zwar in der Vereinbarung der religiösen Lehre mit den sinnlich wahrnehmbaren Phänomenen. »Der undurchdringliche Körper bleibt so als begriffliches Fundament der Naturphilosophie erhalten. Die Transsubstantiation wird mit dem Wirken des Geistes, nämlich dem Denken des Geistes gelöst.« (Sang Myung Lee: Die Metaphysik des Körpers bei G. W. Leibniz, S. 30f.)

Dementsprechend schreibe Leibniz: »(25) Jedes Wirken des Geistes ist Denken. (26) Der Geist kann viele Dinge zugleich denken. (27) Deshalb kann der Geist durch seine Operation an vielen Orten gleichzeitig sein.« (A VI 1, 510 = Übersetzung Sang Myung Lee.)

Körper und Geist bei Leibniz

Noch weiter voran im Werdegang des jungen Mannes wird deutlich, an wie vielen Orten der wirkende Geist zugleich sein kann. Nämlich überall. Um das Jahr 1678 erfolgt eine »der folgenschwersten Selbstkorrekturen, die Leibniz zwischen seiner frühen Konzeption des geistigen Punktes und seiner ausgereiften Monadenlehre vernimmt«, und zwar durch eine Abkehr von jenem »metaphysischen Dualismus von Descartes, in dem er ungefähr zwischen 1668 und 1678 befangen war.«

Dieser Dualismus hatte Leibniz dazu verleitet, das Universum zu unterteilen in denkende, empfindsame Geister (res cogitans) und ausgedehnter, empfindungsloser Materie (res extensa). Zu letzterer zählte er auch die Tiere (vgl. HB, S. 23).

Infolge seiner Selbstkorrektur und der »Wiederbeseelung der Welt« schreibt Leibniz – vereinfacht – jeder einzelnen geschaffenen Substanz eine eigene Kausalität zu, »also ihr eigenes aktives, dynamisches Prinzip, ein Streben (appêtit) nach Veränderung.« Ebenso zeichnet jeden Zustand einer Monade jederzeit einen »spezifischen geistigen Zustand [aus], nämlich eine Vorstellung (perception).« (Vgl. Johannes Haag, Markus Wild: Philosophie der Neuzeit. Von Descartes bis Kant, S. 83.)

So bewirke die Verbindung oder Anpassung aller geschaffenen Dinge untereinander »und eines jeden mit allen anderen, daß jede einfache Substanz Bezüge hat, welche alle anderen ausdrücken«, kraft der Appetitionen und Perzeptionen.

Unterscheidung von Monaden

Dahingehend kann Leibniz sagen, daß jede einfache Substanz »ein lebendiger, immerwährender Spiegel des Universums ist.« (Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, 133.) Eine Differenzierung zwischen Menschen und Tieren bleibt derweil erhalten.

Leibniz unterscheidet einfache Monaden, Tiermonaden und rationale Monaden. Die einfachen Monaden repräsentieren lediglich unbewusst das Universum. Tiermonaden sind bereits zu assoziativen Verknüpfungen in der Lage und können sich deshalb in der Umwelt orientieren und lernen. Nur die rationalen Monaden verfügen über Selbstbewusstsein, über die Fähigkeit zum reflexiven Bezug auf die eigenen geistigen Zustände als Zustände ihres Geistes.

Vgl. Johannes Haag, Markus Wild: Philosophie der Neuzeit. Von Descartes bis Kant, S. 84.

Die rationalen Monaden kommen dem Menschen zu. Als Oberbegriff für sowohl bewusste als auch unbewusste Zustände lassen sich Perzeptionen nun nach Graden bestimmen. Dabei spielt jene cartesische Unterscheidung von dunkler hin zu klarer und deutlicher Erkenntnis eine Rolle, die Leibniz präzisierte (S. 13f.) »um sie nun zugleich als Differenzierung von Monadenzuständen zu sehen.« (Hans Poser: Innere Prinzipien und Hierarchie der Monaden (§§ 8-29, 82 f.). In: Hubertus Busche (Hg.): Monadologie, S. 88.)

Daraus ergibt sich eine Hierarchie von völlig dunklen, sozusagen »schlummernden« Monaden hin zu Monaden, »deren Perzeption deutlicher ist und von Gedächtnis begleitet«.

»Seele« gemäß Monadologie

Allein eine Monade, die zu einer bewussten und deutlichen Perzeption fähig ist, sei gemäß § 29 der Monadologie richtigerweise als eine »Seele« bezeichnet. (Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, 119.)

Eine solche Perzeption wird auf »Apperzeption« genannt, vom lat. apperceptio, dieser Neologismus von Leibniz meint »im weitesten Sinne […] jede Bewußtwerdung überhaupt, im engeren Sinne die introvertierte Aufmerksamkeit vernünftigeren Reflektierens«, Vgl. Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum, S. 72.)

Körper sind für Leibniz wiederum einfache Monaden, »die uns auf bestimmte Weise erscheinen. Bei der empirischen Realität handelt es sich somit um eine repräsentationale oder phänomenale Realität.«1

Wie sich etwa »die Phänomene des Organischen« beschreiben lassen, hängt mit Leibniz’ Konzept der Formentstehung zusammen, das hier nicht ausgeführt werden kann. (Vgl. Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum, S. 276.) Wichtig ist, dass es auf Aristoteles’ Begriff der »ersten Materie« (πρώτη ὕλη) basiert: »Gibt es nun ein Erstes, was nicht erst noch nach einem Anderen als aus diesem bestehend bezeichnet wird, so ist dies erster Stoff«2, aus dem alle Elemente (Erde, Wasser, Luft, Feuer) und alle Körper hervorgehen.

Zusammengesetzte Substanzen

Eine viele Jahre nach dem Sinneswandel formulierte Gliederung vom Einfachen zum Zusammengesetzten ergibt sich wie folgt (vgl. G II, 252).

  1. Seele bzw. Geist, »also der mathematische Punkt oder das psychische Prinzip der [tätigen ursprünglichen] Kraft«.
  2. Erstmaterie; leidende ursprüngliche Kraft, »also der physische Punkt«.
  3. Monade oder einfache Substanz, »der metaphysische Punkt, der als unauflösliche Einheit von mathematischem und physischem Punkt eine vollständige Substanz bildet.
  4. Anorganische Körper, als »ein bloß äußerliches Aggregat von Monaden«.
  5. Organische Körper bzw. Lebewesen, »das aufgrund seiner lebenslang sich behauptenden, fluktuierenden Identität in einem laxeren Sinne als körperliche oder zusammengesetzte Substanz bezeichnet werden kann.«3

Soweit einige grundlegende Aspekte, die Leibniz’ alternativen Ansatz zur psychophysischen Wechselwirkung erhellen sollen. Es bleibt die Frage bestehen, wenn den geschaffenen Substanzen eine eigene Kausalität zukommt, ob und wie Körper und Geist einander kausal beeinflussen. Zumal ein weiteres Merkmal der Monaden sei, dass sie »keine Fenster [haben], durch die etwas in sie hineintreten oder sie verlassen könnte.« (Monadologie § 7)4 Leibniz’ Antwort auf die Frage nach den psychophysischen Zusammenhängen ist jenes bereits erwähnte System der präetablierten Harmonie. Es soll die Verbindung zwischen körperlichen und mentalen Vorgängen gleichermaßen beschreiben und erklären.

Um dieser Doppelfunktion gerecht zu werden, macht es Sinn, das System in zwei Schritten zu hinterfragen. Dabei erschließt sich besagte Fensterlosigkeit der Monaden mit dem Substantiv der »Harmonie«. Er ist der Schlüsselbegriff der Leibnizschen Lehre und zentraler Teil dessen, was diese beschreibt. Die kontinuierliche Erschaffung der Monaden wiederum hängt eng mit dem Adjektiv »präetabliert« zusammen, als Teil dessen, wie er zu erklären ist – dieser psychophysische Parallelismus, den Leibniz proklamiert.

Thesen zum psychophysischen Parallelismus

Der Parallelismus stellt aus heutiger Sicht eine von vier einflussreichen Theorien dar, die in der Geschichte der westlichen Philosophie über den Zusammenhang zwischen Geist und Körper entwickelt worden sind. Die jüngste Position in dieser Geschichte stellt der Epiphänomenalismus dar.

Was ist Epiphänomenalismus?

Der Epiphänomenalismus besagt, dass das Mentale ontologisch vom Physikalischen verschieden ist und der physikalische Bereich kausal und nomologisch vollständig sei. Es gibt »hinreichende physikalische Bedingung für alle Mentale; das Mentale kann jedoch seinerseits nichts bewirken – weder etwas Physikalisches, angesichts der kausalen Vollständigkeit der physikalischen Bereichs, noch etwas anderes Mentales, angesichts dessen, dass es hinreichende physikalische Bedingungen für alles Mentale gibt und kein Prinzip der kausalen oder nomologischen Vollständigkeit für den mentalen Bereich gilt.«5 Vertreten wurde er unter anderem von Thomas Henry Huxley beschrieb, im Zuge naturwissenschaftlicher Erkenntnisse des 19. Jahrhunderts.6

Influxionismus, Okkasionalismus, Parallelismus

Doch bis dahin waren es, seit der Neuzeit, drei maßgebliche, mögliche Antworten auf die Frage nach den psychophysischen Zusammenhängen. Wie erwähnt legte Leibniz als erster eine Aufführung dieser drei Systeme dar. Nicht zuletzt, weil er selbst eines davon hervorgebracht hat.7 So, wie der Okkasionalismus als Alternative zum Influxionismus angetreten war, die Probleme einer kausalen Beeinflussung real verschiedener Substanzen zu lösen, so sollte der Parallelismus von Leibniz sowohl die Schwierigkeiten der interfluxionistischen als auch der okkasionalistischen Theorie überwinden.

Der psychophysische Parallelismus bezeichnet die Annahme, es gäbe »einen systematischen Zusammenhang zwischen Zuständen im Körper einer Person und Zuständen in ihrem Geist«. Mit Gott als derjenigen Instanz, welche die jeweiligen Zustände synchronisiert.8 Doch worin besteht die behauptete Parallelität im Sinne eines systematischen Zusammenhangs?

Die These vom mittelbaren Einfluss

Wenn Leibniz die Monaden als fensterlos beschreibt, ist es ihm nicht daran gelegen, jegliche kausale Beziehung zwischen den Substanzen zu leugnen, »sondern lediglich eine bestimmte Art von Einfluß, den er den realen, natürlichen oder physischen nennt«9 – wohl aber betont Leibniz einen idealen Einfluß, »der nur durch die Intervention Gottes wirksam werden kann« (Monadologie § 51).10 Dass eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen den Substanzen problembehaftet ist, bewies der Ansatz von Descartes. Worin die Schwierigkeiten einer mittelbaren Wechselwirkung bestehen, zeigt ein näherer Blick auf den Ansatz von Leibniz.

Zunächst darf der ideale Einfluss nicht als imaginärer verstanden werden, sondern als Einfluss jenseits des Physischen, also: metaphysisch. Jede Monade oder einfache Substanz enthält, wie die Gliederung (S. 39) verdeutlichen sollte, eine aktive Kraft (im unveränderlichen, mathematischen Punkt, der Seele) und eine passive Kraft (im affizierbaren, physischen Punkt, der Erstmaterie). Gegenüber Königin Sophie Charlotte zweifelt Leibniz, »ob man sagen kann, dass eine Seele auf eine andere Seele oder auf die Aktivität einer anderen Substanz wirkt.«11

Tatsächlich kann der mathematische Punkt einer Monade aufgrund seiner Immaterialität nicht auf den mathematischen Punkt einer anderen Monade einwirken. »Das schließt jedoch nicht aus, daß die Erstmaterie, die den seelischen Mittelpunkt einer Monade umgibt, sehr wohl von außen und das heißt mittelbar von den Wirkungen anderer Monaden affiziert wird.«12 Solche Einwirkungen sind sogar konstitutiv für die als lebendiger Spiegel des Universums verstandene Monade, da sie andernfalls dem paradoxen Bild eines leeren Spiegels entsprechen würde.

Indirekte Kausalität zwischen Monaden

Stattdessen bildet jede einfache Substanz das Zentrum einer zusammengesetzten Substanz – etwa eines Lebewesens (S. 39) – und »ist von einer aus unendlich vielen anderen Monaden zusammengesetzten Masse umgeben, die den eigenen Körper dieser Zentralmonade bilden und nach dessen Affektionen sie […] die [äußeren] Dinge vorstellt«13 und spiegelt. Weitergeleitet werden die Affektionen »indem die leibliche Bewegungskette sich weiter ins Körperinnere fortpflanzt, um schließlich auch die Erstmaterie der Zentralmonade zu affizieren«.14

[H]ier kommt die Kausalkette zum Abschluß, indem der monadische Mittelpunkt oder die Seele, die Leibniz als einen »spirituellen« oder »immateriellen Automaten« bezeichnet […], die Affektionen der Erstmaterie spontan in genuin seelische Tätigkeiten, nämlich Perzeptionen, übersetzt. Dies ist kein Einfluß von außen nach innen, sondern eine von innen heraus erfolgende Beantwortung eines externen Reizes in Gestalt einer […] »Repräsentation«.

HB, S. 59.

So verstanden besteht keine intersubstantiale, sondern eine indirekte Kausalität zwischen den in diesem Sinne fensterlosen Monaden. Vermittelt wird sie durch die Erstmaterie als fester Bestandteil einer jeden Monade. Deren Seelen wiederum reagieren nicht aufeinander und verständigen sich nicht miteinander, sondern agieren spontan und nur unmittelbar veranlasst durch einander. Dabei ist es »gerade die zur Monade gehörende Erstmaterie (materia prima), in der […], die eigentümlichen Vermittlungsleistungen in den beschriebenen Kausalketten liegen.«15 Kausalketten also, die von Monaden ausgelöst werden mögen, in ihrer Entfaltung jedoch streng dem Prinzip einer kosmischen Harmonie folgen.

Die These vom kosmischen Mechanismus

Der Begriff »Harmonie« war für Leibniz seit jeher religiös konnotiert und in höchstem Maße sinnstiftend aufzufassen. Denn Gott habe »zu keinem andern End die Vernünfftigen Creaturen geschaffen, als daß sie zu einem Spiegel dieneten, darinn seine unendtliche Harmoni auff unendtliche weise in etwas vervielfätiget würde.«16 (Die Spiegelfunktion geht notabene so weit, dass »die Geister auch noch Bilder der Gottheit oder des Urhebers der Natur selbst sind«, was jede vernünftige Seele zu einer kleinen Gottheit – petite divinité – macht, Monadologie § 83.17)

Das Zustandekommen bzw. Bestehen dieser Harmonie als präetablierte Harmonie steht im Kontext mit der Erschaffung der einfachen Substanzen. In der Monadologie (Monadologie § 5, 6) argumentiert Leibniz sinngemäß wie folgt:

Nur das Zusammengesetzte kann entstehen oder vergehen (in seine Teile zersetzt werden) [P1]. Monaden haben keine Teile [P2]. Daher können Monaden weder »auf natürliche Weise anfangen«, noch »auf natürliche Weise vergehen« [K].

Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, 111

Zwar wurde die Monade bereits als vollständige Substanz beschrieben, die als unauflösliche Einheit von mathematischem und physischem Punkt durchaus Teile zu haben scheint. Doch diese haben, bei genauerer Betrachtung ihrer Vereinigung zum Schnittpunkt, keinen räumlichen Abstand zueinander. »Monaden sind also deshalb unvergänglich, weil ein zwischen mathematischem und physischem Punkt liegender Schnittpunkt prinzipiell nicht zerteilt […] werden kann«, da eine Teilung des physischen Punktes stets in neuen Schnittpunkten resultieren würde.18

Zum Entstehen der Monaden

Nun zum Entstehen der Monaden: Gott allein sei, laut Leibniz (Monadologie § 47) »die anfängliche Einheit oder die ursprüngliche einfache Substanz, von der alle geschaffenen oder abgeleiteten Monaden Hervorbringungen sind«.19 Die Monaden entstehen »sozusagen aus den kontinuierlichen Zuckungen«20 oder als  »ständige blitzartige Ausstrahlung«21 der Göttlichkeit (Fulgurations continuelles de la Divinité), und zwar »in jedem Moment«.22 Darin klingt das Gleichnis jenes perfekten Uhrmachers an, der Leib und Seele synchronisiert habe wie zwei Uhren – doch damit schiene Leibniz bemerkenswert nah an der Idee des Okkasionalismus zu sein, die er kritisiert für die implizite Annahme eines eben nicht perfekten Uhrmachers, der ständig in sein eigenes Werk eingreifen muss.23

Die These von Gottes kontinuierlicher Beteiligung

Der kontinuierliche, kosmische Mechanismus ist »nicht etwa von Gott abgekoppelt […], wie z. B. ein Uhrwerk nach seiner Herstellung vom Uhrmacher abgetrennt ist«, vielmehr bleibe Gott an diesem selbst erschaffenen Mechanismus, der mit seiner Mitwirkung an der Welt sozusagen identisch ist, aktiv und fortlaufend beteiligt; er bleibt, anders als im Okkasionalismus, seinem Werk immanent – und zwar seit Anbeginn.

Der Begriff der prä-etablierten Harmonie weist darauf hin, dass es einen Zeitpunkt vor der Harmonie und ihrer Etablierung gegeben haben muss. Dieser Zeitpunkt fällt nach Leibniz auf »die erste Schöpfung«24 (la premiere création), »d. h. nach Gen. 1-4 in die Phase zwischen der Erschaffung von Himmel und Erde und der Scheidung von Licht und Finsternis«25 – Licht ist das Stichwort, das zur hintergründigen Hypothese des zirkulierenden Äthers und einem tieferen Verständnis der präetablierten Harmonie führt, die das Explanandum bildet, in Bezug auf die hier herausgestellten Thesen zum psychophysischen Parallelismus. Dieser zeigt den mittelbaren und grundsätzlich einsehbaren Zusammenhang zwischen den Substanzen auf.

Während die präetablierte Harmonie hier nicht mehr in alle Tiefen verfolgt werden kann, sollten soweit die Gründe zu erkennen sein, weshalb Leibniz sein Alternativkonzept entwickelt hat zu dem eingangs behandelten, cartesianischen Influxionismus, mit seiner unmittelbaren und uneinsehbaren psychophysischen Wechselwirkung. Abschließend gilt es zu beurteilen, ob diese Alternative plausibel ist und Leibniz damit die Probleme vermeiden konnte, die er bei Descartes gegeben sah.

Plausibilität der Leibnizschen Alternative

Löst das Leibnizsche Konzept der psychophysischen Wechselwirkung als reziproke »Repräsentation von Seelischem im Körper (bei Handlungen) und von Körperlichem in der Seele (bei Wahrnehmungen)«26 jene Schwierigkeiten des von ihm vielfach kritisierten Influxionismus à la Descartes? Bezüglich der zuvor thematisierten vier Kritikpunkte lässt sich Folgendes feststellen.

Zu jenen vier Kritikpunkten

Erstens bleibt die Einflussfrage vom Zusammenspiel zwischen geistigen und körperlichen Vorgängen nicht »unbegreiflich«, sondern wird als vermittelt durch die Erstmaterie erklärt (die sich, wie noch zu vertiefen wäre, als mit dem zirkulierenden Äther und somit Gottes Geist identisch erweist). Allerdings mag sich das Mysterium dadurch nur auf eine neue Bedeutungsebene zu verschieben, denn »[w]ie sich Leibniz die Vermittlung des göttlichen Spiritus oder Lichtäthers zwischen Seele und Körper und somit auch zwischen den Monaden konkret denkt, ist angesichts des diesbezüglichen Schweigen der Quellen schwer zu bestimmen.«27 Immerhin bietet Leibniz’ umfangreiches, aus vielen zigtausend Briefen und Notizen bestehendem Gesamtwerk diesbezüglich reichlich Interpretationsspielraum.

Zweitens beschreibt Leibniz die physikalische Gesetzes-Grundlage von Descartes mit Verweis auf das, was noch heute als kausale Geschlossenheit des physikalischen Bereichs bekannt ist, als überholt. Der psychophysische Parallelismus lässt sich wiederum mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbaren. Laut Leibniz »laufen der mentale und der physikalische Bereich parallel zueinander, so dass jeder mentalen Eigenschaft eine physikalische Eigenschaft entspricht und umgekehrt.«28 Kausalbeziehungen bleiben demnach innerhalb des mentalen bzw. des physikalischen Bereichs.

Die Autonomie der Seele

Drittens sah Leibniz bei Descartes die Autonomie der Seele missachtet. Durch die soeben erwähnte geschlossene Kausalität im mentalen Bereich hebt Leibniz diesen Kritikpunkt auf. Darin sieht Esfeld eine bemerkenswerte Konsequenz: »Insofern eine mentale Veränderung Ursachen hat, hat sie vollständige mentale Ursachen.« Damit gelte auch: »Insofern der mentale Bereich Gesetzen untersteht, untersteht er vollständigen mentalen Gesetzen. Psychologische Gesetze haben somit denselben Status wie physikalische Gesetze.«29 Dies sei jedoch weit vom wissenschaftlichen Stand der Dinge entfernt. Die heutige Psychologie könne nicht »ohne physikalische Begriffe arbeiten (einschließlich biologischer und neurowissenschaftlicher Begriffe), während die Physik universelle Theorien anbietet, die für den gesamten Kosmos gelten«, ohne Rückgriff auf psychologische Termini.

Viertens lässt der Influxionismus von Descartes die Möglichkeit zur Spontaneität als prinzipielle Grundlage zu menschlicher Freiheit vermissen. Leibniz hingegen hat nicht weniger als seine Lebensaufgabe darin gesehen, »die Vereinbarkeit der mechanischen Naturerklärung mit der Freiheit des Willens [u. a.]« zu erweisen.30

Leibniz zur Willensfreiheit

Trotz kontinuierlicher göttlicher Mitwirkung am Weltgeschehen sieht Leibniz diese Willensfreiheit als aktive, tätige, ursprüngliche Kraft ausdrücklich gegeben, im mathematischen Punkt, in der Seele. In der Theodicée betont Leibniz:

[S]o gewiß die Wirkung ist, so gewiß ist auch die Ursache, die sie erzeugen wird; und wenn die Wirkung geschieht, so tritt sie auf Grund einer ihr entsprechenden Ursache ein. So ist deine Trägheit vielleicht daran schuld, daß du nichts von dem erhältst, was du dir wünschst, und daß du Übel erleidest, die du durch sorgsames Handeln hättest vermeiden können. Die Verbindung der Ursachen mit den Wirkungen hat also durchaus keine unerträgliche sklavische Notwendigkeit zur Folge, sie gibt uns vielmehr ein Mittel zu ihrer Beseitigung.

PhB 499, 125f.

Als eine weitere bemerkenswerte Konsequenz weist Esfeld auf den Panpsychismus bei Leibniz hin. Dafür »dass jede physikalische Eigenschaft mit einer mentalen Eigenschaft korreliert«, so wie es dieser Panpsychismus impliziere, gäbe es jedoch »keinerlei empirische Anhaltspunkte«, so Esfeld.31 Das liegt gewissermaßen in der Natur der Sache selbst, gehen die geistigen Vorgänge im Leibnizschen Universum doch von einem rein intelligiblen Punkt aus, der per definitionem »kein mögliches Objekt empirischer Hirnforschung werden kann«.32

Kritik am psychophysischen Parallelismus

Für Esfeld läuft der psychophysische Parallelismus auf einen Epiphänomenalismus hinaus (»der Theorie, dass das Mentale nichts bewirken kann«, siehe S. 41). Seiner spitzen Frage, was denn die mentalen Eigenschaften von Steinen sein sollten, geht das Urteil voraus, Leibniz’ Position komme, ob der genannten Kritikpunkte, einer reductio ad absurdum gleich33 – einem Rückschluss aufs Ungereimte. Darauf ließe sich mit Leibniz’ Gliederung vom Einfachen zum Zusammengesetzten (S. 40) erwidern, dass anorganische Körper als »bloß äußerliches Aggregat von Monaden« verstanden werden und somit nicht dem Aggregat »Stein« mentale Eigenschaften zukommen.

Monadologie »hochgradig absurd«

Den Grund dafür, dass Aspekte der Monadenlehre »hochgradig absurd« wirken können, sieht Busche als Konsequenz gängiger, idealistischer Deutungen gegeben, die Monaden mit immateriell-egoiden, transzendentalen oder gar solipsistischen Subjekten verwechseln und Körper zuweilen »als bloße Vorstellungen in der isolierten Monade« auffassen. Stattdessen seien Körper bei Leibniz »nicht etwa Phantasmen, sondern vielmehr Phänomene, d. h. Erscheinungen, die ihr Fundament in einer Sache haben, die selbst nicht erscheint.« Dieses zugrunde liegende Ding an sich im Zuge seiner Äther-Hypothese mit dem Licht zu identifizieren, »das alles zur Erscheinung bringt, ohne selbst zu erscheinen«, diese Idee von Leibniz sei, »nicht paradox, sondern genial.«34

Die Plausibilität der Leibnizschen Alternative hat sich als hinreichend erwiesen, um Descartes’ Ansatz zur psychophysischen Wechselwirkung zwischen materiellen und mentalen Substanzen abzulösen. Gleichsam ersetzt die präetablierte Harmonie, als Effekt des zirkulierenden Lichtäthers und letztlich ihrerseits »dunkles Theorem«35 in Sachen Rätselhaftigkeit die Zirbeldrüsen-Hypothese und stellt angesichts des Metaphysikums der Monade nicht in Aussicht, je genug Einsicht in dieses System zu erhalten, um es als notwendige Erklärung des Körper-Geist-Problems gelten zu lassen.

Fazit zur Monadologie

Ziel dieser Beitragsreihe zum Körper-Geist-Problem war es, Descartes’ Ansatz zur psychophysischen Wechselwirkung dem alternativen Ansatz von Leibniz anhand ihrer leitenden Motive und Argumente gegenüberzustellen, um die Probleme des einen Ansatzes und die Plausibilität des anderen zu analysieren bzw. zu beurteilen – geleitet von der Fragestellung, ob Leibniz mit seiner Alternative die Schwierigkeiten lösen konnte, die er bei Descartes gegeben sah. Diese Frage ließ sich positiv beantworten.

Da beide Denker ihre philosophischen Annahmen über Dekaden ausgearbeitet haben, bestand eine besondere Schwierigkeit darin, im jeweils umfangreichen Gesamtwerk (im Falle von Leibniz weit mehr als bei Descartes) die zentralen Begrifflichkeiten und Zusammenhänge einerseits der unmittelbaren Wechselwirkung im cartesianischen Substanzdualismus und andererseits der präetablierten Harmonie als Erklärung für den leibnizschen Parallelismus folgerichtig zu erfassen. Der Schwerpunkt lag dabei maßgeblich auf den Meditationen von Descartes, um dessen Herleitung zweier real verschiedener Substanzen nachzuvollziehen – derjenige Gedankengang, der vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Fortschritte seiner Zeit das Körper-Geist-Problem erst zu neuer Tiefenschärfe getrieben hat. Zur Erschließung der cartesianischen Argumentation stellte sich u. a. Gregor Betz’ systematischer Kommentar zu den Meditationen als wichtige Sekundärliteratur heraus.

»Türöffner« ins Leibnizsche Konzept

Die Beschleunigung besagter Fortschritte wurde insbesondere dahingehend deutlich, dass Leibniz das cartesianische Erklärungsmodell zur Wechselwirkung zwischen rein ausgedehnten und rein mentalen Substanzen, die Epiphysen-Hypothese, bereits wenige Dekaden später (nach Jahrhunderten des sinnbildlichen Stillstands) von einem entscheidend anderen Kenntnisstand in der Physik beurteilen konnte. Leibniz’ Kritik an Descartes’ Ansatz bildete Kern und Bindeglied dieser Reihe. Ein Einblick in diese Kritik machte einige der Gründe sichtbar, die Leibniz zu dessen Alternativkonzept bewogen haben. Die Monadologie als eine Art Quintessenz diente dann als Ausgangspunkt und »Türöffner« in das Leibnizsche Konzept.

Gegen das System des Influxionismus, dem er Descartes als Hauptvertreter zuordnete, wendete Leibniz ein, dass sie unbegreiflich sei. Auch, dass sie gegen physikalische Gesetzmäßigkeiten verstoße. Schließlich, dass sie die Autonomie der Seele preisgab und den Aspekt des spontanen Wirkens ausklammerte. In allen Kritikpunkten vermochte Leibniz’ eigenes System der präetablierten Harmonie als Korrektiv zu fungieren, sowie als souveränes Erklärungsmodell zum Körper-Geist-Problem und speziell der psychophysischen Wechselwirkung. Nach einer Übersicht der Grundzüge dieses Systems erfolgte die Herausstellung (einer Auswahl) zentraler Thesen, mit denen Leibniz den psychophysischen Parallelismus stützt. Zum Verständnis seines komplexen Systems war u. a. der von Busche herausgegebene, kooperative Kommentar zur Monadologie ein Schlüsselwerk.

Obwohl zum Ende hin die Plausibilität von Leibniz’ Ansatz als hinreichend beurteilt werden konnte, bleibt letztlich vieles über dessen konkrete Darlegung im Dunkeln. Darunter, ausgerechnet, die für die Hermeneutik der präetablierten Harmonie so grundlegende Rolle des Lichts. Diese müsste, um Leibniz’ Beitrag zur Philosophie des Geistes gebührend Rechnung zu tragen, tiefergehend untersucht werden. Es verwundert nicht, dass einer kleinen Beitragsreihe über die Substanztheorien der zwei wohl prägendsten Geister des 17. Jahrhunderts ihre engen Grenzen aufgezeigt werden. Wie eng diese Grenzen sind, bleibt dennoch ernüchternd.

Der Leiber Orgelspiel so kunstreich ist gefast, / Dass aller unser Witz vorm kleinsten Thier erblast.

Fußnoten

  1. Vgl. Johannes Haag, Markus Wild: Philosophie der Neuzeit. Von Descartes bis Kant, S. 84f.
  2. Aristoteles: Metaphysik, S. 243.
  3. Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum, S. 532.
  4. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, 113.
  5. Michael Esfeld: Descartes, Leibniz und das Problem der mentalen Verursachung, S. 107.
  6. Vgl. Ansgar Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, S. 48: »Zustände im Geist einer Person werden zwar durch Zustände in ihrem Körper verursachte, haben aber selbst niemals Wirkungen auf ihren Körper«, heißt es dort zur Erklärung des Epiphänomenalismus.
  7. G IV, 520.
  8. Vgl. Ansgar Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, S. 48.
  9. HB, S. 57.
  10. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, 131.
  11. Vgl. G VI, 521 = Übersetzung DL.
  12. HB, S. 59.
  13. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, 155.
  14. HB, S. 59.
  15. Ebd., S. 60.
  16. Vgl. A IV 1, 532.
  17. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, 147.
  18. Vgl. HB, S. 55.
  19. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, 131.
  20. Ebd.
  21. HB, S. 5.
  22. Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie = PhB 537, 131.
  23. A II 1, 74.
  24. G II, 136.
  25. HB, S. 68.
  26. HB, S. 62.
  27. HB, S. 73.
  28. Michael Esfeld: Descartes, Leibniz und das Problem der mentalen Verursachung, S. 100.
  29. Ebd., S. 106.
  30. Vgl. Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum, XVIII.
  31. Michael Esfeld: Descartes, Leibniz und das Problem der mentalen Verursachung, S. 100.
  32. Vgl. Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum, S. 67.
  33. Vgl. Michael Esfeld: Descartes, Leibniz und das Problem der mentalen Verursachung, S. 100.
  34. Vgl. HB, S. 33.
  35. Vgl. HB, S. 66.

1 Gedanke zu „Leibniz’ Monadologie“

  1. Leibniz wurde einer der größten Köpfe der Neuzeit und einer der schwierigsten Philosophen! Es bedarf also einer tiefen Untersuchung und Analyse seiner Gedanken. Das was jedenfalls einer sehr guter Versuch seine Monadologie zu interpretieren.
    Danke

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