In diesem Beitrag geht’s um Platons Dialoge mit besonderem Fokus auf die sokratische Methode. Das ist ein philosophischer Begriff, der auf die griechische Antike zurückgeht – genauer: aufs 5. Jahrhundert vor Christus. Mit der sokratischen Methode ist eine bestimmte Art der Gesprächsführung gemeint. Oder, wie es in der Philosophie seriöser ausgedrückt wird: eine besondere Vorgehensweise im Diskurs. Benannt ist die sokratische Methode nach dem Philosophen Sokrates. Doch überliefert wurde sie von dessen Schüler Platon.
💡 Dieser Beitrag ist auch als Video auf YouTube verfügbar. Wie sich Wissen via Video vermitteln lässt, zeige ich im Onlinekurs Edutainment Video Authoring. Für alle, die selbst unterhaltsame Lehrvideos produzieren wollen. 🧑🏫
Sokrates als literarische Figur
Sokrates hat nichts von seiner Weisheit für die Nachwelt niedergeschrieben – zumindest nichts, von dem die Nachwelt jetzt noch wüsste. Dafür war Platon umso fleißiger. Viele seiner Schriften sind Dialoge, in denen Sokrates als Gesprächspartner und damit als literarische Figur auftritt. Dieser literarische Sokrates stimmt nicht unbedingt mit dem echten Sokrates überein. Stichwort: künstlerische Freiheit.
Solche Freiheit wird sich Platon beim Schreiben über seinen Lehrmeister mit großer Wahrscheinlichkeit genommen haben. Daher lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, ob die sokratische Methode vom echten Sokrates angewandt wurde, oder ob Platon sie seinem Sokrates in den Mund legte. Das ist rückblickend aber auch nicht so wichtig, um die sokratische Methode zu verstehen.
📚 Liest du gerne? Hier gibt’s einen Einblick in mein Bücherregal und Buchtipps für Allround-Interessierte. Viel Spaß beim Stöbern!
Die sokratische Methode in Aktion
Der historische Sokrates lebte wie Platon in Athen zur Zeit der Attischen Demokratie. Die stand nach der für Griechenland siegreichen Schlacht von Salamis 480 v. Chr. vorerst auf sicheren Säulen. Attika ist heute noch die Region rund um Athen, bloß das Griechenlands Hauptstadt damals noch eine sogenannte Polis war, ein antiker Stadtstaat. Diese Staatsform beschrieb der Historiker Jacob Burckhardt einmal als »schwatzhafteste« aller Staatsformen, weil das gesprochene Wort dort das wichtigste Mittel in der Politik war.
Was das Demokratische im antiken Athen angeht, davon war ein Großteil der Bevölkerung wohlgemerkt ausgeschlossen. Versklavte Menschen etwa, außerdem Metöken (Fremde, die sich in Athen niedergelassen haben), sowie Kinder und Frauen.
Warum Frauen? Weil Politik Männersache ist, würde ein antiker Grieche sagen – und die Kinder sind Frauensache. Aber warum? Weil die Frauen die Kinder zur Welt bringen. Ja, aber warum schließt das Gebären von Kindern das Mitreden in der Politik aus? Weil Frauen keine Ahnung von Politik und sowas haben. Aha! Warum? Weil wir ihnen nichts beibringen! Warum nicht? Na, weil sie doch die Kinder kriegen!
Siehe da, du drehst dich im Kreis – das würde Sokrates sagen, nachdem er seinem Gegenüber ein Loch in den Bauch gefragt hat. Das ist die sokratische Methode in Anwendung: Fragen, bis der Arzt kommt! Oder: die Hebamme. Wusstest du, dass Sokrates’ Mutter eine Hebamme war? Aber kann er dir am besten selbst erzählen.
Sokrates’ Mutter
Also du lächerlicher hast wohl niemals gehört, daß ich der Sohn einer Hebamme bin […]? [Meine Hebammenkunst] unterscheidet sich dadurch, daß sie Männern die Geburtshülfe leistet und nicht Frauen, und daß sie für ihre gebärenden Seelen Sorge trägt, und nicht für Leiber. […] Was mir Viele vorgeworfen, daß ich Andere zwar fragte, selbst aber nichts antwortete, weil ich nämlich nichts kluges wüßte zu antworten, darin haben sie Recht.
Sokrates in Platons Dialog Theaitetos, 571.
»Ich weiß, dass ich nichts weiß«, der Mann, der diese berühmten Worte sprach, vergleicht in Platons Dialog Theaitetos seine Art der Gesprächsführung – die sokratische Methode – mit dem Beruf seiner Mutter. So wie sie den Frauen half, Kinder das Licht der Welt erblicken zu lassen, so verhalf Sokrates den Männern zu hellen Momenten, in denen ihre Erkenntnis (oder Unkenntnis!) ans Licht kam. Wobei Sokrates auch mit Frauen sprach. Zumindest einer, nämlich mit Diotima – die einzige weibliche Figur, die in Platons Dialogen zu Wort kommt, indirekt.
Platons Frauenbild
[Die Frau in Athen] verbringt ihr Leben im wesentlichen im Innern des Hauses und hat […] kaum je Gelegenheit, mit der Welt außerhalb ihrer Mauern, geschweige denn mit Männern Kontakt aufzunehmen. Noch als Mädchen wird sie verheiratet und hat weder als Ehefrau noch als Witwe Gewalt über ihren Körper und schon gar nicht über eigenes Hab und Gut. Sie kann weder Geschäfte abschließen noch im Prozeß auftreten; auch politische Rechte stehen ihr nicht zu.
Jürg Freudiger: Platon und die Sache der Frau, in: Kriterion, Nr. 10 (1995),S. 14.
War es einfach nur zeitgemäß seitens Platon, Frauen außen vor und nicht zu Wort kommen zu lassen? Oder war Platon ein ähnlich gestandener Frauenfeind, als welcher sich Hesiod in seinen Werken erweist?
Tatsächlich gilt Platon gemeinhin als frauenfeindlich. Das liegt vor allem an gewissen Stellen aus Platons mutmaßlichem Spätwerk Timaios, in dem es um die Erschaffung der Seele geht und Frauen »als eine Art Second-Hand-Version zweitklassiger (feiger, ungerechter) Männer« (Freudiger) entstünden.
Zustand und Ideal
Ob sich an Stellen wie diesen wirklich Platons Frauenbild festmachen lässt, darüber schrieb ausführlicher der Philosoph Jürg Freudiger in der Zeitschrift Kriterion. Der entsprechende Beitrag ist hier als PDF verfügbar. Er möchte zeigen, »daß Platon in Bezug auf die Sache der Frau eine [der] zeitgenössischen Auffassung völlig entgegengesetzte, modern gesprochen emanzipatorische Position einnimmt.« Er kommt nach einer gut belegten Argumentation zu dem Schluss:
Platon läßt in seinen Dialogen Männer auftreten, die er realistisch, und das heißt dem in seiner Zeit tatsächlich bestehenden Zustand entsprechend, das normale (heißt: katastrophale) Frauenbild vertreten läßt. [I]n der idealisierenden Politeía hingegen tritt er für eine vollumfängliche Gleichstellung von Mann und Frau ein.
Zurück zu Diotima. Die erklärt Sokrates, was »Eros« ist, das erotische Begehren. Sokrates will es genau wissen und wendet gegenüber Diotima die sokratische Methode an. Wie er das tut, kannst du im Dialog Symposion von Platon nachlesen. Nochmal Freudiger: »Sokrates beziehungsweise seine Lehrerin [Diotima] vertritt hier platonisches Gedankengut, ja, die betreffenden Stellen der Diotima-Rede gelten als klassische Formulierung der Platonischen Ideenlehre.« Aus Jürg Freudiger: Platon und die Sache der Frau, in: Kriterion, Nr. 10 (1995),S. 17.
Tipp: Hier geht es zu Beiträgen über Platons Höhlengleichnis und Platons Ideenlehre.
Die sokratische Wende
Wofür Sokrates ebenfalls den Weg bereitete, war das Nachdenken über den Menschen. In diesem Zusammenhang steht der Begriff der sokratischen Wende, also der Verschiebung des Interesses der Philosophie von der Natur hin zu menschlichen Themen – wie der Ethik. Der römische Politiker und Philosoph Cicero formulierte es etwa so: »Sokrates aber rief als Erster die Philosophie vom Himmel herab und versetzte sie in die Städte […]«. Aus Cicero: Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, Fünftes Buch, 10.
🧑🏼💻 Womit arbeite ich? Hier ein Einblick in mein Blogging-Setup und YouTube-Equipment, mit Tipps zu Tech & Tools für Content Creator.
Sokrates-Zitate · kleine Auswahl
In Platons Dialogen lernen wir Sokrates als bescheidenen Kindskopf kennen, der sich einen Spaß daraus macht, etwaige »Meister ihres Fachs« (Herrscher, Heerführer, Gelehrte) mit ihrer Ahnungslosigkeit im jeweiligen Fach zu konfrontieren, indem er der Sache auf den Grund ging. Nicht selten stieß er, oh Wunder, damit bei seinen Gesprächspartnern auf Gram. Sokrates-Zitate können dann erstaunlich weinerlich klingen.
Kallikles: Sage mir, Sokrates, schämst du Dich nicht, in Deinem Alter auf Worte Jagd zu machen, und wenn jemand in einem Worte fehlt, dies für einen großen Fund zu achten? (…)
Sokrates: O! o! Kallikles! Wie boshaft bist Du und gehst mit mir um, wie mit einem Kinde!
Platon: Gorgias, 499c.
Tatsächlich nimmt Sokrates es mit den Worten sehr genau. Die Dialoge zu lesen ist nicht nur deshalb (wegen scheinbar endlosen Schlagabtausches ob bloßer Begrifflichkeiten) zuweilen ein zähes Unterfangen.
Auch prägt die zahlreichen, ausschweifenden Dialoge des Sokrates ein sperriger Stil voller Formalitäten und Sprachbildern, die nicht mehr up to date sind. Es liegen immerhin 2500 Jahre zwischen damals und heute und, na ja, ich hab manchmal schon Schwierigkeiten, meinen Opa zu verstehen, wenn er auf Plattdeutsch proatet (erzählt). Trotzdem finden wir in Platons Werken immer wieder Momente, da Sokrates-Zitate es schaffen, Sachverhalte des 21. Jahrhunderts zu analysieren:
Populismus · damals wie heute
Sokrates: Denn Du sagtest eben, daß auch in Sachen Gesundheit der Redner mehr Glauben finden würde als der Arzt.
Gorgias: Das sagte ich auch; bei der Menge nämlich. (Heißt: beim Volk)
Sokrates: Und nicht wahr, dieses »bei der Menge« heißt bei denen, die nicht wissen? Denn bei den Wissenden wird er doch nicht mehr Glauben finden als der Arzt?
Platon: Gorgias, 358a.
Na, wenn das nicht an die gegenwärtige Trump-Ära erinnert. Oder, apropos Populisten:
Sokrates: (…) sondern als reine Hellenen und nicht als Mischlinge wohnen wir hier. Daher ist der Stadt ein ganz reiner Hass eingegossen gegen fremde Natur.
Platon: Menexenos, 245d.
Der altbekannte Fremdenhass, in der Antike schon ein Laster.
Wer sich einen tieferen Einblick in Platons Schriften mit Sokrates als Protagonisten gönnen will: www.opera-platonis.de – Hier gibt es seine gesammelten Werke, verfügbar als PDF. Auf der Website heißt es dazu: »All dies war Lehrmaterial der platonischen Akademie. Es wurde festgehalten zur Unterstützung der Erinnerung.«
Feedback und Fragen wie immer gerne in die Kommentare. Wenn du über zukünftige Beiträge auf dem Laufenden bleiben willst, hier geht’s zum Newsletter. 💌 Bis bald!
Einen Fehler Ihrer Ausführungen muss ich hier kommentieren: Sokrates hat nicht gesagt (falls das überhaupt stimmt, aber das ist nicht der Punkt): „Ich weiss, dass ich nichts weiss…“ Es muss heissen: „…nicht…..“, also ohne „s“. Er will damit ausdrücken, dass er weiss (also weiss er doch etwas – ein klassisches Paradoxon – ) aber -im übertragenen Sinn – nicht weiss.
»Ich weiß, dass ich nichts weiß« ist der geläufige Kalenderspruch, aber »Ich weiß, dass ich nicht weiß« wäre auch eine sinngemäße Übersetzung. Wörtlich übersetzt heißt das Originalzitat (οἶδα οὐκ εἰδώς, aus der Apologie des Sokrates) soviel wie »Ich weiß als Nicht-Wissender« / Es gibt einen eigenen Wikipedia-Beitrag zu der Aussage, siehe hier: https://bit.ly/2QHxZ1S · Liebe Grüße!