Der Film The Shape of Water wurde mit vier Oscars ausgezeichnet. Er erzählt eine Liebesgeschichte mit atemberaubendem Ende. Falls du den Film gesehen, aber das Ende nicht verstanden hast: Hier findest du neben einer Filmkritik eine Erklärung des Endes. Vorher wird es eine Spoiler-Warnung geben. So viel sei verraten:
Das Ende des Films The Shape of Water lässt verschiedene Interpretationen zu, sowohl über das Überleben als auch das Wesen der Hauptfigur. Dass es keine eindeutige Auflösung gibt, trägt zur Schönheit dieses Liebesdramas bei.
Gedicht am Ende · Englisch und Deutsch
The Shape of Water beschließt mit einem Gedicht. Der Regisseur Guillermo del Toro, der auch das Drehbuch geschrieben hat (gemeinsam mit Vanessa Taylor), erinnert sich, dass er das Gedicht in einem Buch mit muslimischer Poesie entdeckt habe. (Quelle)
Die Filmversion des Gedichts lautet im englischen Originalton:
Unable to perceive the shape of you, I find all around me, your presence fill my eyes with your love, it humbles my heart, for you are everywhere.
Zu Deutsch lautet das Gedicht in etwa wie folgt:
Unfähig, deine Gestalt zu erkennen, finde ich überall um mich herum deine Gegenwart, die meine Augen mit deiner Liebe füllt, sie demütigt mein Herz, denn du bist überall.
Im Original liest die Erzählerstimme, gesprochen von Richard Jenkins, das Gedicht aus dem Off. Jenkins erzählt in einem Interview, wie dieses Gedicht seinen Einzug in den Film fand.
Ich sag Ihnen was, ich hatte den endgültigen Erzähltext erst zwei Wochen vor Drehschluss, und Guillermo kam zu mir und sagte: »Ich habe heute in einem Buchladen dieses Gedicht gefunden. Es wurde vor Hunderten von Jahren von einem Mann geschrieben«, was ich in der Erzählung erwähne. Er sagte, es sei sein Liebesbrief an Gott und wir würden es verwenden.
Übersetzung via DeepL-Translator
Die Form des Wasser ist wandelbar. »So sanft es auch sein kann, ist es zugleich die stärkste und verformbarste Kraft des Universums«, erklärt der Regisseur Guillermo del Toro im Gespräch mit Cicero und fügt ein bisschen kitschig hinzu: »Gilt das nicht ebenso für die Liebe?«
Denn auch die Liebe könne jede Form annehmen und einem Menschen oder eben einer anderen Kreatur gelten. Von einer solchen Liebe, zwischen einem Menschen-Wesen und einer Wasser-Kreatur, erzählt Guillermo del Toros Film The Shape of Water.
Trailer zum Film
Inhalt / Handlung von The Shape of Water
In Südamerika wird eine Kreatur aus dem Amazonas gefischt und nach Nordamerika geschafft. Dort landet sie in einem Geheimlabor, untersucht von Wissenschaftlern, gefoltert von einem Sadisten – und geliebt von einer Putzfrau, die von Geburt an stumm ist.
The Shape of Water spielt 1962 in Maryland, Baltimore. Amerika und die Sowjetunion stehen sich im Kalten Krieg gegenüber. Es ist das Jahr der Kubakrise. Innerhalb der USA stehen sich Schwarz und Weiß gegenüber. Es herrschen immer noch die Jim-Crow-Gesetze, Rassentrennung, Rassenhass…
…und in dem alten Kino unter dem Apartment der Heldin laufen die historische Romanze The Story of Ruth (1960) und die Musical-Komödie Mardi Gras (1958). 🎞
Hintergrund zu The Shape of Water
Als Kind wuchs ich in Mexiko auf und war ein großer Verehrer ausländischer Filme. Von E.T. oder William Wyler oder Douglas Sirk oder Frank Capra…
Und vor wenigen Wochen, da sagte Steven Spielberg, »wenn du dich selbst dort findest, wenn du dich auf dem Podium wiederfindest, dann erinnere dich daran, dass du Teil eines Vermächtnisses bist. Dass du Teil einer Welt von Filmemachern bist – und sei stolz darauf!« Ich bin sehr, sehr stolz.
Guillermo del Toro
Das waren Guillermo del Toros Worte bei der Oscarverleihung 2018 in Los Angeles, Kalifornien – ein US-Bundesstaat, der im Süden an del Toros Heimatland grenzt. Das ist die Grenze, die der Mann im Weißen Haus zu dieser Zeit noch zumauern wollte.
Del Toros Ansprache im Original
Ich möchte diese Auszeichnung allen jungen Filmemachern widmen. Der Jugend, die uns zeigt, wie man Dinge macht. Denn das tut sie, in jedem Land dieser Welt. Als Kind war ich verliebt in Filme. Da ich in Mexiko aufwuchs, dachte ich, dass sowas hier niemals passieren könnte.
Aber es ist passiert und ich will euch sagen, dass alle, die davon träumen, das Fantasy-Genre zu nutzen, um eine Parabel über die wirklichen Dinge in der Welt zu erzählen – ihr könnt es tun. Das ist die Tür, tretet sie ein und komm rein!
Guillermo del Toro (Transkript der Rede, Übersetzung via DeepL)
Filmtipp: Ein weiteres »Kind aus Mexiko«, das es in der Filmwelt weit gebracht hat, ist Alfonso Cuarón. 2018 erschien sein sehenswertes Drama Roma – ein Herzensprojekt mit autobiografischen Zügen.
Filmkritik zu The Shape of Water
In The Shape Of Water paart sich Guillermo del Toros visuelle Handschrift mit der besten Geschichte, die er je umgesetzt hat.
Die Auszeichnung mit dem Oscar für »Bester Film« war trotz starker Konkurrenz (darunter Dunkirk, Get Out und Die Schöne und das Biest) hochverdient. The Shape Of Water erzählt vom Krieg, wie Dunkirk, vom Rassenhass, wie Get Out, und ist im Ganzen eine große Neuerzählung von Die Schöne und das Biest.
Schon die Opening Scene lädt zum Staunen ein: The Shape of Water beginnt mit einer märchenhaften Unterwasser-Einstellung.
Wie in ein versunkenes Schloss begleiten wir die schwebende Kamera über einen Korridor, in dem trotz des Wasser die Lichter brennen, hinein in eine Wohnung, in der alle Möbel und Gegenstände schweben – samt dem Sofa und der Frau über dem Sofa.
Langsam sinkt die Frau herab, sinkt auf das Sofa, das ebenfalls geschmeidig auf dem Boden aufsetzt. So, wie der Wecker auf das Beistelltischchen sinkt…. und klingelt. Ganz großes Kino und eine Sequenz, die man sich immer wieder ansehen hat.
Anfangsszene von The Shape of Water
Der Wecker reißt Elisa Esposito aus ihrem Traum.
Sie beginnt ihre ihre Morgenroutine: sich ein Bad einlassen, Eier kochen, Eieruhr stellen, baden, masturbieren, Kalenderblatt abreißen, Spruch lesen (»Time is but a river flowing from our past«, so so) und die Schuhe polieren. Ein entspannter Start in den Tag.
Elisa arbeitet als Putzfrau in einem US-amerikanischen Geheimlabor. Dort lernt sie eine gefangen gehaltene Kreatur kennen – und lieben.
Denn, so war Guillermo del Toros erklärtes Ziel, er wollte mal einen Monsterfilm drehen, in dem das Monster am Ende das Objekt seines Begehres auch bekommt – sein love interest, wie es im Storytelling-Jargon heißt – und zwar in gegenseitiger Hingabe.
Dabei ist dieses love interest, also Elisa, die Hauptfigur und Heldin des Films, nicht weniger geheimnisvoll als die Kreatur aus dem Amazonas…
❗️ Spoiler-Alert: Mit nächsten Abschnitt werden Details der Handlung verraten und im darauf folgenden Abschnitt das Ende des Films erklärt.
Unbekannte Liebesformen
Im Laufe von The Shape Of Water erfahren wir über Elisa, eher nebensächlich und ohne Rückblende, dass sie als Kind am Flussufer gefunden wurde. Ausgesetzt, wie es scheint. Mit Narben am Hals, die ihren Stimmverlust zur Folge hatten. Wie es scheint.
Schon während des Films offenbart sich uns ihr intimer Bezug zum Wasser, in dem sie sich sichtlich wohler als sonstwo fühlt. Dass sie in der Badewanne masturbiert, mag nicht ungewöhnlich sein. Dass sie ihr Badezimmer bis zur Decke flutet, um darin mit der Wasser-Kreatur Sex zu haben, das schon eher.
Am Ende wissen wir bereits, dass die Kreatur durch Auflegen ihrer Pranken Wunden heilen kann. In der letzten Szene, als die Kreatur mit Elisa unter Wasser im Hafenbecken schwebt, legt es seine Pranken aus die Narben an Elisas Hals. Und plötzlich – funktionieren diese Narben als Kiemen! 🤯
Erklärung des Endes | Interpretation
Selbst in einem Fantasy-Film wie The Shape of Water scheint es unsinnig, dass die Kreatur aus dem Amazonas »normale« Wunden in Kiemen verwandeln kann – mit dem ganzen Atemapparats-Kladderadatsch, der subkutan dazu gehören müsste.
Wahrscheinlicher ist, dass Elisas Narben, also diese schmalen, geradlinigen Schlitze, die schon den Hals des Findelkindes zierten und die niemand erklären konnte – dass diese Narben eben schon immer Kiemen gewesen sind.
Das Filmende deutet an, dass die Kreatur nur Elisas natürliches Dasein als Zwitter-Wesen irgendwo zwischen Fisch und Mensch wiederherstellt. Und zwar, indem sie Elisas verschlossene Kiemen öffnet – und sie frei atmen lässt, Unterwasser.
Elisa ist nicht deshalb stumm, weil irgendetwas mit ihren Stimmbändern passiert ist, sondern weil sie nie Stimmbänder hatte.
Eine andere Interpretation des Endes wäre, dass Elisa eigentlich stirbt und das, was uns gezeigt wird, das Kopfkino des Erzählers ist – bloß ein schöner, tröstlicher Gedanke, um den schmerzhaften Verlust von Elisas Tod zu verkraften.
Tipp: Das hier ist übrigens kein Beispiel für eine gute Filmkritik. Dafür ist der Beitrag viel zu unstrukturiert. Wie du eine »richtige« Filmkritik schreibst, erfährst du in diesem Praxis-Guide.
Analysen zu The Shape of Water
John Richardson hat für The Conversation den »Besten Film« der Oscars 2018 in Hinblick auf seine allegorische Wirkungskraft unter die Lupe genommen. Das ist es, was Richardson als Englischlehrer und Assistenzprofessor gerne macht: Hinterfragen, wie aktuelle Filme kluge Antworten geben, auf die rassistische, sexistische, fremdenfeindliche Politik und Rhetorik ihrer Zeit.
So zeige Lady Bird (2017), dass das Leben einer jungen Frau es wert ist, cineastisch erkundet zu werden. Three Billboards Outside of Ebbing, Missouri (2017) porträtiere Korruption, Gewalt und Rassenhass im Herzen des amerikanischen Traums.
Tipp: Eine Videokritik zu Lady Bird findest du auf meinem YouTube-Kanal, neben etlichen Edutainment-Videos. Wenn du selbst lernen willst, wie sich Wissen via Video vermitteln lässt, gibt‘s hier einen Onlinekurs dazu.
Und Black Panther (2018) habe triumphal bewiesen, dass auch Schwarze Menschen einen Hobbywood-Film produzieren könnten, so Richardson – und, dass die afroamerikanische Kultur eine spannende, mythologische Geschichte hervorbringen könne.
Meisterhafte Systemkritik…
In The Shape of Water nun sieht Richardson eine detaillierte und poetische Kritik an Trump und dessen Team. Ebenso an dem hohlen Versprechen, Amerika wieder »great« zu machen. 🇺🇸
So »great«, wie in den 30er Jahren, den 40er oder 50er Jahren? Je nach dem, in welcher Stimmung man ihn erwischt, ruft Trump eine andere Zeit aus seinem Streuhirn ab. Manchmal nennt er die 1960er Jahre, in denen The Shape of Water spielt.
Die Hauptfiguren des Films, die stumme Elisa, die Schwarze Zelda und der schwule Giles erleben diese Zeit in stiller Unterdrückung.
Gut und böse, schön und Schein
Die Dichotomie zwischen den USA und Russland, zwischen »gut« und »böse«, wird sowohl angedeutet als auch untergraben. Amerika und Russland sind im Konflikt, aber es ist ein russischer Agent, der nach ethischen Maßstäben handelt.
Es gibt ein traditionell anmutendes Lokal an der Hauptstraße. Doch der Barkeeper entpuppt sich als Rassist und homophob. Seinen südlichen Akzent hat er aus Marketing-Gründen aufgelegt (…). Die servierten Kuchen sehen ansprechend aus, sind aber wenig schmackhafte Massenprodukte. (…)
Der Film Shape of Water balanciert an eben der Grenze, als alle Authentizität im Begriff war, als Illusion verloren zu gehen.
John Richardson (Übersetzung via DeepL)
Als Antagonisten haben wir Richard Strickland. Ein sadistischer Regierungsbeamter, den ein Autoverkäufer großspurig als »Mann der Zukunft« bezeichnet. Auch Strickland selbst spricht die Zukunft an, rühmt sie als erstrebenswert, sagt zuversichtlich:
The future is bright. You gotta trust in that. This is America.
Ausgerechnet das Musikvideo This is America (2018) von Childish Gambino gibt gut wieder, dass die Zukunft nicht so »bright« geworden ist, wie prophezeit worden ist. Und dass, andererseits, ein Typ wie Strickland »Mann der Zukunft« sein würde. Ein vulgärer Millionär, der sexuelle Übergriffe als Kavaliersdelikt ansieht.
Wenn die stumme Frau, die Schwarze Frau und der schwule Mann gemeinsam handeln, um das schöne »unerwünschte Wesen« aus seinem Gefängnis zu befreien, suggeriert der Film, dass die Kreativität und der Humanismus von Außenseitern siegen kann – gegen Grausamkeit und Korruption.
John Richardson (Übersetzung via DeepL)
…oder stumpfer Moralismus?
Ganz anders als Richardsons Analyse fällt die Filmanalyse des deutschen Filmkritikers Wolfgang Schmitt aus, der sich die »intellektuelle Unredlichkeit« des Films bespricht und sich am darin vorherrschenden Moralismus stört. Hier seine ausführliche Begründung, warum The Shape of Water kein guter Film sei:
Mein Fazit zu The Shape of Water
Mir selbst ist der plakative Moralismus nicht entgangen, doch ich störe mich weniger daran. Der Film macht sich, wie ich finde, für die »richtigen« Werte start. Doch egal ob als zeitgenössische Allegorie oder zeitloses Märchen, The Shape of Water ist einfach mitreißend.
Man muss sich auf die düstere Welt del Toros einlassen, in die immer wieder und ganz unvorhersehbar rohe Gewalt hinein brechen kann. Doch wenn man einmal drinsteckt, in dieser Welt, dann ist man umgeben von bemerkenswerten Charakteren in einer Haken schlagenden Handlung voller Gänsehaut-Momente.
Fragen zum Film wie immer in die Kommentare – und gerne auch dein Eindruck vom Werk, wie hat es The Shape of Water gefallen? Wenn dir dieser Beitrag gefallen oder geholfen hat, kannst du mir hier gerne ’nen Kaffee ☕️ spendieren, oder bei Patreon vorbeischauen. Bis bald!