Dieser Fachbeitrag 🎓 fasst die Meditationen über die Erste Philosophie von René Descartes zusammen. Der Fokus liegt dabei auf Descartes’ Motiven und Argumenten für die Annahme zweier Substanzen. | Lesezeit: 25 Min.
Hinweis: Hier geht’s zu einer Einführung in das Leib-Seele-Problem.
Abhandlung über die Methode
Bereits in der Abhandlung über die Methode (1637) schwört Descartes hinsichtlich seiner Meinungsbildung zum Wahrheitsgehalt von Erkenntnissen anderen Autoritäten außer seiner selbst ab.1 Doch die systematische Darlegung des eigenmächtigen Erkenntnisgewinns erfolgt erst in Descartes’ Meditationen. Anderen Autoritäten räumt Descartes dabei die Rolle ein, sein Vorhaben zu überprüfen und zu unterstützen, um den erbrachten Beweisen das nötige Gehör zu verschaffen.
In der Widmung des Werks, gerichtet an die Doktoren der Sorbonne, betont Descartes zu Beginn die Notwendigkeit eines Nachweises, dass die menschliche Seele nicht mit dem Körper untergehe (animam humanam cum corpore non interire) und Gott existiere. Und zwar, um auch Ungläubige von diesen Gewissheiten des Glaubens zu überzeugen, nur mithilfe des Verstandes.2 Als Beweggrund nennt er die von Papst Leo X. verkündete Forderung an christliche Philosophen, einen Nachweis dafür zu erbringen, dass der Geist nicht mit dem Körper zugrunde gehe. Zum Schluss der Widmung führt Descartes sein Ziel an. Er will zweifelsfrei die Existenz Gottes sowie die Unterscheidung der »Seele« vom Körper beweisen.3
Descartes’ Meditationen · Ziel
Der Titel der ersten Auflage lautet:
Meditationen über die Erste Philosophie, in der die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele bewiesen wird (in qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur)
Der Titelzusatz stammt von Mersenne.4 Descartes schreibt in einem Brief an Huygens, er glaube, die Unkörperlichkeit der »Seele« demonstrieren zu können.5 Gegenüber Mersenne betont er später, dass er nichts über die Unsterblichkeit der »Seele« zu sagen habe, da er nicht beweisen könne, »que Dieu ne la puiffe annihiler«.6 Dieses Argument bringt Descartes auch in der Synopsis der Meditationes unter.
Der Titel der zweiten Auflage lautet:
Meditationen über die Erste Philosophie, in denen die Existenz Gottes und die Verschiedenheit der menschlichen Seele vom Körper bewiesen wird (in quibus Dei existentia, & animae humanae a corpore distinctio, demonstratur)
Dieser Titel stammt von Descartes und entspricht dessen eigentlichen Beweiszielen. Die Wahrheit der These, Seele und Körper seien verschieden, ist eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für die Wahrheit der These, dass die Seele unsterblich sei. Die Untersuchung der leitenden Motive und Argumente, die Descartes zugunsten seiner Annahme eines Dualismus von Körper und Geist7 als zwei verschiedene Substanzen anführt, werden nachfolgend untersucht.
Die erste Meditation
Die Annahme des Substanzdualismus von der Gegebenheit zweier unterschiedlicher Arten von Dingen – den denkenden und den materiellen, die je unabhängig voneinander existieren – geht bei Descartes mit drei Thesen einher. These 1 besagt, dass ein denkendes Ding existiert. These 2 besagt, dass denkende und materielle Dinge (sofern es letztere gibt) real verschieden sind. Und These 3 besagt, dass tatsächlich auch materielle Dinge existieren.
Descartes’ Deduktion8 zur Annahme zweier Substanzen beginnt unter dem Leitgedanken, etwas Bleibendes in den Wissenschaften errichten zu wollen.9 Dieser Gedanke lässt sich auch als ausschlaggebende Motivation für die Durchführung der Meditationes lesen. Also als dasjenige Motiv, dem sich die vordergründigen Beweisziele aus dem Werktitel in den Dienst stellen. Diese Ziele erachtet Descartes als bereits bewiesen an, wenn er sich in der Sechsten Meditation wieder jenem Leitgedanken widmet. Er kommt zu dem Schluss, in der Tat ein Fundament errichtet zu haben, um aus der Wahrnehmung gesichertes Wissen zu gewinnen.10 Um dorthin zu gelangen, bedurfte es zunächst des systematischen Umsturzes der Grundsätze, auf denen alle früheren Überzeugungen ruhten.11
Descartes über Sinnestäuschungen
Der erste skeptische Einwand bezüglich menschlichen Erkenntnisgewinns wendet sich direkt gegen die empiristische Vorstellung vom Vorrang der Wahrnehmung. Sinneseindrücke seien zuweilen Täuschungen, so Descartes, und könnten daher immer täuschen. Gemäß der Klugheitsregel sei es nur umsichtig, in nichts Vertrauen zu setzen, das einmal betrogen habe.12 Dieses Argument hat sich als Musterbeispiel dafür erwiesen, dass die zugrundeliegende Formel (X sei zuweilen F, daher könne X immer F sein) eine falsche Schlussfolgerung aus einer wahren Prämisse ziehe. Denn »we haven’t established that it couldn’t always be the case that my sense are deceptive. […] To show [this] would take yet another, still different, argument.«13
Rosenberg verdeutlicht dies an einem weiteren Beispiel nach gleicher Formel: Gemälde sind zuweilen Fälschungen und könnten daher immer Fälschungen sein. Das ist offenkundig falsch. Indem Descartes winzige und weit entfernte Dinge als Ursache gelegentlicher Täuschungen von solchen in nächster Umgebung unterscheidet und sich zudem als nicht-geisteskrank beschreibt, grenzt er den Geltungsbereich der These, dass Sinneseindrücke immer täuschten, zunächst ein.14
Descartes’ Traum-Argument
Der zweite skeptische Einwand verschärft den Zweifel – mit dem Traum-Argument. Träume seien vom Wachzustand nicht zu unterscheiden, so Descartes, und daher könne es immer ein Traum sein, was er für den Wachzustand hält.15 Wieder schränkt Descartes die Geltung des Arguments ein. Er verweist auf notwendige Abbilder. Es müssten gewisse universelle Dinge wahr sein, aus denen sich (wie aus wirklichen Farben) die Traumbilder zusammensetzten.16 Descartes differenziert zwischen Disziplinen wie der Astronomie, die von zusammengesetzten Dingen abhängig sind, und solchen wie der Arithmetik, die allgemeine Dinge abhandeln. Die Addition von zwei und drei ergäbe fünf, auch im Traum.17
Descartes’ Dämon-Argument
Der dritte skeptische Einwand, mit dem auch letzte Gewissheiten angegriffen werden, läuft auf den radikalen Zweifel hinaus – mit dem Dämon-Argument. Die Tatsache, dass den Menschen die Idee eines allmächtigen Gottes gegeben sei, gehe mit der Möglichkeit einher, dass dieser Gott die Menschen immerzu täuschen könne, womit auch die allgemeinen Wahrheiten anzuzweifeln wäre. Da dies gegen die mitgedachte Güte in der Idee eines vollkommenen Gottes widersprechen würde, will Descartes, einen bösen Genius annehmen.18 Das Irren an sich sei nicht von der Hand zu weisen, weshalb er den Menschen eine gewisse Unvollkommenheit zuschreibt, die Descartes folgern lässt, dass es unter all dem für wahr Befundenen, nichts gibt, das nicht bezweifelt werden dürfte.19
Im Alltag würden Menschen aus Gewohnheit an zweifelhaften Meinungen festhalten. Schon allein, um handlungsfähig zu bleiben. Doch Descartes geht es nicht darum, agieren zu können. Er will sicheres Wissen erlangen, nachdem er alle Gewissheiten in Zweifel gezogen hat. Für das weitere Vorgehen kann er daher die Möglichkeit eines ihn ständig täuschenden Dämons nicht ausschließen.20 Positiv ausgedrückt lautet das Ergebnis (E1) der Ersten Meditation:
Alles, was den geeinten Kräften des Böser-Dämon-Szenarios einerseits und dem radikalen Traumszenario andererseits standhält, können wir getrost als gewiss betrachten.
Gregor Betz21
Die Begründung des Dualismus
Auf die Grenzen des Zweifels, der etwa ob seines Festhaltens an schlüssiger Argumentation beachtliche Ausnahmen zulässt, soll hier nicht tiefer eingegangen werden. Ebenso, obwohl Descartes zur Demonstration und als »vera & optima via« für seine Beweiskette die Analysis wählt und die lückenlose Argumentfolge als entscheidend fürs Verständnis der Meditationes beschreibt22, müssen einige Schritte übergangen werden. Unser Augenmerk liegt auf den Argumenten, die Descartes für den Substanzdualismus heranzieht. Ob bereits in der Zweiten Meditation eine Begründung des Dualismus erfolgt, ist umstritten.
Unter Interpreten der Gegenwart argumentiert etwa Schütt dafür, dass Descartes zumindest den Versuch unternimmt, den Dualismus schon hier zu begründen.23 Dazu muss er jedoch, wie Betz in seiner Rekonstruktion von Schütts Erörterungen urteilt, auf »schwache, fehlerhafte Argumente« zurückgreifen.24 Descartes selbst geht es um die reale Unterscheidung von Geist und Körper erst in der Sechsten Meditation. Trotzdem sollen die Zwischenstationen insoweit behandelt werden, als sie wichtige Voraussetzungen für die Annahme des Substanzdualismus bilden.
Die zweite Meditation
Die Zweite Meditation widmet sich der Natur des menschlichen Geistes. Ergriffen vom radikalen Zweifel nennt Descartes nunmehr als Motiv die Hoffnung, auch nur das Minimalste zu finden, das sicher und unbezweifelbar sei.25 Denn eben darin, dass nichts sicher sei, sieht er die einzig noch bestehende Wahrheit, dicht gefolgt von einer Erkenntnis, die notwendig wahr sein muss.
Das Argument für diesen Grundsatz, der sich nicht vom Zweifel auflösen lässt, ist Descartes’ berühmtes Existo-Argument.26 So wie er selbst es gewesen sei, der sich in den absoluten Zweifel stürzte und jetzt um jede Gewissheit betrogen fühlt, so müsse er selbst auch der Betrüger sein…
und er möge mich täuschen, soviel er kann, niemals wird er bewirken, daß ich nichts bin, solange ich denken werde, daß ich etwas bin; so daß schließlich, nachdem ich es zur Genüge überlegt habe, festgestellt werden muß, daß dieser Grundsatz Ich bin, ich existiere, sooft er von mir ausgesprochen oder durch den Geist begriffen wird, notwendig wahr ist.27
Ich denke, also bin ich
Das Existo-Argument deutet sich in seiner bekannteren Formel – Ich denke, also bin ich (im Original: je pense, donc je suis) – bereits im Discours an.28 Dass es sich bei diesem Argument um keinen deduktiven Schluss, sondern vielmehr eine »einfache Intuition des Geistes« handelt, betont Descartes in den Secundæ Responsiones.29 Zur näheren Bestimmung des Ich nimmt Descartes im Zuge der Zweiten Meditation eine Unterscheidung vor, die später zur Grundlage für das Problem der psychophysischen Wechselwirkung wird. (Wohlgemerkt ohne diese Unterscheidung bereits begründen beziehungsweise beweisen zu wollen.30)
Erstens habe Descartes (bevor er alles bezweifelte) sein Ich als einen aus Teilen bestehenden Körper wahrgenommen. Zweitens als einen tätigen, wahrnehmenden und denkenden Geist. Von Letzterem ist ihm keine konkretere Vorstellung in Erinnerung, als etwas Kleines, Ungreifbares, das er auch mit dem »Äther« vergleicht,31 jener hypothetischen Substanz, die bei Leibniz eine wichtige Rolle spielt (S. 44f.).
Descartes bleibt dem Zweifel gewahr und lässt als einzig Wahres zunächst nur das Ich zu, das er als »denkendes Ding« bezeichnet, als res cogitans.32 Dieses bestimmt er bei näherer geistiger Betrachtung von seinen Tätigkeiten her, das Denken auffächernd: »dubitans, intelligens, affirmans, negans, volens, nolens, imaginans« und »sentiens«33 sei er unweigerlich und gleichgültig, ob dabei irregeführt oder schlafend. Was mit dem Existo-Argument begründet wird, sind – wie die Auflistung der Tätigkeiten verdeutlicht – »einzig epistemische Notwendigkeitsaussagen«34 in Bezug auf Denk-Eigenschaften, oder auch: »D-Eigenschaften«.35
Descartes’ Wachs-Beispiel
Mit dem Wahrnehmen (»sentiens«) erfolgt der Bogenschlag zu körperlichen Dingen, am Beispiel des Wachses. Descartes weist auf dessen wechselhafte Eigenschaften hin, von denen die Ausdehnung zunächst als eine unter vielen erscheint. Sein und Schein führen Descartes zur Automaten-Vermutung, welche die Bedeutung geistiger Betrachtung gegenüber sinnlicher Anschauung betont und einen weiteren Nachweis des menschlichen Geistes erbringt: Allein durch sinnliche Anschauung, so die Vermutung, könnten vorbeigehende Menschen auch Automaten unter Hüten und Mänteln sein.
So, wie es nicht die Augen seien, die über den Anblick der Passanten das Urteil »Menschen« fällen, so seien es auch nicht Sehvermögen oder Tastsinn, die über jenes in Duft, Farbe und Konsistenz so wandelbare Ding das Urteil »Wachs« fällen. Dieses Verständnis erfolgt ebenso wenig durch das Vorstellungsvermögen, das sich zwar theoretisch alle Erscheinungsformen von Wachs vorstellen kann – praktisch aber, aufgrund der potentiellen Vielfalt dieser Formen, eben nicht. Allein der einsehende Verstand bringt das Verständnis äußerer Dinge zustande.36
Damit will Descartes die äußeren Dinge jedoch noch nicht gelten lassen. Er sieht in der erkennenden Tätigkeit des Geistes erneut dessen Evidenz bestätigt, auf die das Existo-Argument bereits hinwies.37 Sinnliche Wahrnehmungen und Anschauungen im Sinne von Vorstellungen hingegen sind als gedankliche Zugriffe verschiedene Modi des Geistes. So hat Descartes in der Zweiten Meditation die These von der Existenz eines denkenden Dings (T1) aufgestellt und argumentativ gestützt. Der gesamte Argumentations-Strang findet sich, ausgehend vom »Gewissheitskriterium« (E1), bei Betz.38
Die dritte Meditation
Die Dritte Meditation läuft auf den ersten Gottesbeweis hinaus. Für diese Unternehmung verweist Descartes als Motiv auf den Widerspruch zwischen dem Dämon-Argument und seinem Erkenntnisstand. Diesen hält er mit der Regel fest, wahr sei, was er clare & distincte39 erfasse.
Eine Definition der Begriffe »klar« und »deutlich« als Wahrheitskriterium findet sich etwa in den Principia Philosophiæ (1644)40, präziser aber, mit Bezug auf Descartes und dessen Verständnis entsprechend, bei Leibniz, in Meditationes de cognitione, veritate et ideis (1684).
Eine Erkenntnis sei entweder dunkel oder klar, eine klare Erkenntnis wiederum konfus oder deutlich, eine klare und deutliche Erkenntnis sei unzureichend oder angemessen (bzgl. der Erfassung sämtlicher Merkmale eines Erkenntnis-Gegenstandes, was Leibniz beim Menschen allenfalls anhand numerischer Daten für möglich hält) respektive symbolisch oder intuitiv.41 Da die Erkenntnisgewinnung etwa in der Arithmetik vermittels Symbole (zum Beispiel Kürzeln, Variablen) mit nicht gesamtheitlich explizierten Begriffen und Merkmalen operiert, bezeichnet Leibniz sie als blind (caeca).
Eine klare und deutliche Erkenntnis ist demzufolge perfekt, wenn alle Begriffs- oder Wesensmerkmale eines Erkenntnisgegenstandes adäquat erfasst sind und dies zugleich auf eine unmittelbare, intuitive Weise geschieht. So die Wahrheitsregel bei Descartes. Doch selbst das in diesem Sinne klar und deutlich Erfassbare könne eben die Täuschung eines allmächtigen Gottes sein, sofern es ihn denn gibt und er wider Erwarten ein Betrüger ist. Solange dies unbekannt sei, könne sich Descartes (außer sich selbst als denkendem Ding) keines anderen Dings je ganz sicher sein.42
Daher sucht er einen Beweis für die Existenz Gottes, der für Descartes’ Annahme zweier Substanzen zwar grundlegend ist, an dieser Stelle aufgrund seines Umfangs jedoch nur zum Teil wiedergegeben werden kann. Relevant ist, für die spätere Erörterung der Existenz materieller Dinge (T3), v. a. der Gedankengang zum Realitätsgehalt.
Descartes über Realitätsgehalt
Dieser Gedankengang beginnt mit der Feststellung, dass Ideen als rein gedankliche Zugriffe in ihrer repräsentierenden Funktion alle gleich, Dinge hingegen in ihrer jeweiligen Realität »offensichtlich sehr verschieden voneinander« seien. Verschieden in gradueller Hinsicht, was die objektive Realität im Sinne ihres Sachgehaltes anbelangt: Diejenigen Dinge, die Substanzen darstellten, seien offenbar »irgendetwas Größeres« (objektiv Realeres) als diejenigen, die bloß Akzidenzen der Substanzen darstellten.43
Verschieden aber auch, was die formale Realität im Sinne des Ursache-Wirkung-Prinzips und des damit verbundenen Bedeutungsgehaltes anbelangt: Dasjenige Ding, das kraft seiner Wirkung als Substanz objektiv in Erscheinung tritt, muss seinerseits eine Ursache haben, die formal (der Form wegen) dieselbe Realität (denselben Sachgehalt) beinhaltet, wie ihre Wirkung. Objektive und formale Realität sind zwei Modi des Seins. Der eine entspricht den Ideen von »ihrer Natur her«, der andere von »den Ursachen dieser Ideen« her. Nun müsse es, so Descartes, eine erste Ursache geben, in der »alle Realität formal enthalten ist, die in der Idee lediglich objektiv ist«.44
Der Vernunft leuchte folgerichtig ein, dass die ihr gegebenen oder zugänglichen Ideen von Dingen objektiv nie mehr Realität innehaben können, als formal den Dingen innewohnt.45 Jenem denkenden Ding, dessen Existenz Descartes mit dem Existo-Argument sicherte und mit sich selbst identifizierte, kommt ebenso objektive Realität (realer Sachgehalt) zu. Dieses Ich ist, weil es nachweislich irren kann, unvollkommen.
Die Idee eines vollkommenen Gottes
Demzufolge müssen all die Ideen oder Vorstellungen, die das Ich verursache, die aber die formal im Ich enthaltene Realität nicht übersteigen können, ihrerseits unvollkommen sein, in ihrem realen Bedeutungsgehalt respektive ihrer Wirkung. Daraus schließt Descartes: Wenn die objektive Realität einer seiner Ideen größer sein sollte als die formal in ihm enthaltene Realität, so müsse sie von außerhalb seiner selbst verursacht worden sein. Das heißt, es würde ein weiteres Ding existieren, das Ursache dieser Idee ist. Eine solche Idee ist die vom vollkommenen Gott. Dieser Vorstellung kommt ein vollkommener Sachgehalt zu, also muss es vollkommene Ursache geben. Das (unvollkommene) Ich kann diese Ursache nicht sein. Allein Gott ist vollkommen und kann somit nur selbst die Ursache sein.
Ergo: Ein vollkommener Gott existiert. Bei diesem ersten, an Thomas von Aquin46 erinnernden Gottesbeweis handelt es sich um den ideologischen: Unsere Idee eines vollkommenen Wesens könne nur ein solches Wesen selbst zur Ursache haben. Kombiniert mit der Wahrheitsregel kommt Descartes später zu dem Schluss, dass jede vom Ich klar und deutlich erfasste Erkenntnis vor dem Hintergrund eines vollkommenen, nicht-betrügerischen Gottes wahr sein muss.47 So setzt er die Entitäten Ich und Gott, nach ihrer Bestimmung, zueinander ins Verhältnis. Für unseren Fokus ist wichtig, wie er das Verhältnis des Ich zur Welt bestimmt. Schließlich lautet sein Ziel gemäß dem Untertitel von Descartes’ Meditationen: Einen Beweis zu liefern für die Existenz Gottes und die Verschiedenheit der menschlichen Seele vom Körper. Dem ersten Teil ist Descartes nachgekommen, der zweite Teil steht noch aus.
Die vierte Meditation
Die Vierte Meditation untersucht, wie von der Erkenntnis des Ichs und Gottes (und der Abhängigkeit des einen vom anderen) zur Erkenntnis weiterer Dinge zu gelangen sei. Da Gott kein Betrüger sei, müsse diese Erkenntnis durch ihn möglich sein – zumal das Urteilsvermögen, das Wahres von Falschem unterscheidet, wie alles andere auch von Gott selbst stamme.
Dass Irren dennoch möglich ist, schreibt Descartes der menschlichen Unvollkommenheit zu, aufgrund derer sich das gottgegebene Urteilsvermögen im Menschen mangelhaft entfalte. Hinzukomme eine der Idee von höchster Vollkommenheit oppositiven Idee des Nichts (nihil), die das Ich in sich finde. Daraus folge, dass besagtes Ich »gleichsam als ein mittleres Etwas so zwischen Gott und das Nichts« gesetzt sei.48 Ein Irrtum müsse nicht als Negation von Wahrem, sondern Privation davon verstanden werden. Es bestehe gleichermaßen eine Teilhabe am Nichts und die Unverfügbarkeit einer Erkenntnis, »die in irgendeiner Weise in mir sein müßte«.49
Ob Irren nötig ist, bleibt fraglich, und zwar dauerhaft. Dass unvollkommene Menschen je die Beweggründe eines unermesslichen, unergründlichen Gottes einsehen könnten, erscheint Descartes unwahrscheinlich und schon der bloße Versuch (die Teleologie, die Lehre zielorientierter Prozesse und Vorgänge) übermütig. Die Erforschung von Gottes Schaffen scheitere auch daran, dass der Mensch nie das »Gesamtwerk«, sondern stets nur Teile dessen im Blick hätte – wobei sich Vollkommenheit erst im Kontext des Ganzen offenbare. Auch der Mensch selbst, der nicht zu bestreiten vermag, dass vieles andere außer ihm erzeugt worden sein kann, sei funktionaler Teil dieses Ganzen.
Descartes über Willensfreiheit
Als Ursache für menschliche Irrtümer nennt Descartes, neben dem mangelhaften Urteilsvermögen, auch die Willensfreiheit, die durch »keine Grenzen eingeschränkt« sei – im Gegensatz zum Urteilsvermögen, dem manche Ideen eben nicht verfügbar seien (von vorenthalten könne keine Rede sein, da Gottes Gründe im Dunkeln lägen). Descartes betrachtet zudem das Einsichts-, Erinnerungs- und Vorstellungsvermögen und kommt zu der Erkenntnis, dass nichts in ihm so vollkommen sei, wie die Willensfreiheit, die in Gott »formal und genau betrachtet nicht größer« sein könne als im Menschen.50
Zur Begründung führt Descartes an, dass der Mensch sich zu allem im Verstand vorfindlichen frei verhalten könne, ohne durch eine »äußere Kraft« zur Entscheidung gedrängt zu werden. Hierin sieht er die Möglichkeit eines freien, vom Kausalnexus der Körperwelt unabhängigen Willen gegeben, die ein weiteres Motiv für seine spätere Annahme zweier Substanzen ist. Wäre der Mensch stets zur Erkenntnis des Wahren und Guten gezwungen, ließe sich dies nicht mit der Willensfreiheit vereinbaren, als deren niedrigsten Grad Descartes die Indifferenz nennt (im Brief an Mersenne vom 27. Mai 1641 definiert als »jener Zustand […], in dem der Wille sich befindet, wenn er nicht durch die Erkenntnis dessen, was wahr oder was gut ist, dazu gebracht wird, eher einer Partei als der anderen zu folgen«51).
Der Ursprung des Irrtums liege schließlich auch im unterschiedlichen Ausmaß von Verstand und Wille. Letzterer lasse sich nicht von Ersterem einschränken, sondern wirke über die Verstandesgrenzen hinaus in den Bereich des Nichts, demgegenüber der Mensch sich so indifferent verhalte.
Die fünfte Meditation
Die Fünfte Meditation vertieft die Untersuchung des Wesens materieller Dinge, um »einen deutlichen Begriff der körperlichen Natur« zu bilden.52 Descartes will herausfinden, ob Dinge außerhalb ihm selbst als denkendem Ding existieren. Zunächst hält er sich dazu an seine Ideen von solchen äußeren Dingen und teilt sie nach ihrer Deutlichkeit ein. Als deutlich vorstellbare Merkmale nennt er die räumliche Ausdehnung aller Teile eines Dinges und deren jeweilige Größe, Gestalt, Position sowie Bewegung, welche mit einer bestimmten Dauer einhergeht.53
Unzählige seiner Ideen, bemerkt Descartes, komme eine wahre Natur zu, ohne dass sie als materielle Dinge existierten. Als Beispiel nennt er die Idee eines Dreiecks, dessen definierende und deutlich einsehbare Eigenschaften weder von außerhalb des Geistes stammten noch vom Geiste selbst zu bestimmen seien. Solche Figuren seien demnach »etwas, und nicht ein bloßes Nichts.«54
Der ontologische Gottesbeweis
Daraufhin überträgt er die Gegebenheit evidenter Wahrheiten von der abstrakten Mathematik auf die Existenz Gottes, die zu beweisen bereits das Ziel und Ergebnis der Dritten Meditation war. Dieses Ergebnis will Descartes im Folgenden um ein weiteres Argument festigen. Ähnlich wie die Winkelsumme eines Dreiecks eine zeitlose Gewissheit sei, erscheine (als eine dem Geist klar und deutlich gegebene Idee) auch die Vollkommenheit Gottes seiner Natur zugehörig – und zur Vollkommenheit gehört, wie die Dritte Meditation besagte, das Faktum der Existenz. Insofern müsse die Existenz Gottes »zumindest in demselben Maße Gewißheit besitzen«, wie mathematische Wahrheiten. Zwei Einwände gegen die Einsicht nimmt Descartes vorweg.55
Kritik am Gottesbeweis
Der erste Einwand lautet, dass die Existenz vom Wesen Gottes abgesondert und Gott somit als nicht-existent gedacht werden könne. In Bezug auf Gott, so Descartes’ Gegenargument, sei eine Absonderung von Existenz und Wesen nicht statthaft. Statt einem geometrischen wählt er nun einen begrifflichen Vergleich: Gott ohne Existenz (und damit ohne Vollkommenheit) zu denken sei so widersprüchlich, wie sich einen Berg ohne Tal vorzustellen.
Der zweite Einwand lautet, dass dem Gedachten keine Notwendigkeit zukommt. So, wie sich ein beflügeltes Pferd denken lässt, ohne dass ein solches existiert, ließe sich auch ein existierender Gott denken, ohne dass ein solcher existiere. Descartes bemüht zur Erwiderung erneut die Berg-Tal-Metapher: Während Berg und Tal sich zwar nicht getrennt denken lassen, deswegen aber nicht notwendig existieren müssen, folgt aus dem Gedanken an Gott als Existierendem notwendig dessen Existenz, »weil die Notwendigkeit des Sachverhalts selbst, nämlich die Notwendigkeit der Existenz Gottes mich bestimmt, dies so zu denken.«56
Argument für den Gottesbeweis
Wer Gott denkt, spricht ihm eo ipso Existenz zu. Abstrahiert vom Kontext der Einwände und Gegenrede lautet Descartes’ Argument für den ontologischen Gottesbeweis: 1) Gott ist definiert als das erste und höchste Seiende, das alle Vollkommenheiten innehat. 2) Existenz (das Sein) ist eine Vollkommenheit. Ergo: Ein erstes und oberstes Seiendes existiere.57
Den Grund, weshalb Gott oft wie beliebige sinnliche Dinge gedacht werde, sieht Descartes im Überschüttet-Sein mit Vorurteilen und dem Verhaftet-Sein des Denkens in – eben – den Bildern sinnlicher Dinge. Stattdessen sei es die Gewissheit »der übrigen Dinge«, die davon abhingen, daß ohne die Erkenntnis Gottes nichts je vollkommen gewusst werden kann.58 Die menschliche Natur bringe zwar das Unvermögen mit sich, stets alle einmal erkannten Einsichten und Gründe gegenwärtig zu halten, doch solange sich ein Mensch der Erkenntnis Gottes erinnere, könne ihm diese als Garant der Gewissheit gelten, dass alles klar und deutlich Erfassbare wahr sein muss. Selbst im Traum, gedenkt Descartes der Ersten Meditation, wäre alles wahr, »wenn es für meinen Verstand evident ist.«59
Die sechste Meditation
In der Sechsten Meditation unternimmt Descartes jene Begründung des Dualismus, die sich aus der Zweiten Meditation noch nicht einwandfrei herleiten ließ. Der Grund lag darin, dass Descartes wie gesagt »einzig epistemische Notwendigkeitsaussagen« begründet hatte. Die Behauptung einer prinzipiellen Trennbarkeit von Körper und Geist sei hingegen »als objektive, logisch-begriffliche Modalaussage zu verstehen«.60 Descartes unterscheidet zunächst zwischen bildlichem Vorstellen (imaginationem) vermittels bestimmter Anstrengung des Geistes und reinem Erkennen (intellectionem), das ohne eine solche Anstrengung auskomme. Die Vorstellungskraft beschreibt er daher als nicht etwa dem Geiste zugehörig, sondern dem Körper – weshalb ein Körper, mangels anderer Erklärung für die Funktionsweise der Vorstellungskraft, unweigerlich existieren müsse.
Die Existenz der ausgedehnten Substanz
Descartes’ erklärtes Ziel ist es, Gewissheit hinsichtlich dieser Annahme, seiner These der Existenz materieller Dinge (T3), zu gewinnen.61 Über die These der realen Unterscheidung von denkenden und materiellen Dingen (T2), die er mit zwei Argumenten begründet, nähert Descartes sich diesem Ziel schrittweise an.
Das erste Argument
Des Philosophen erstes und »offizielles Argument«62 für den psychophysischen Dualismus steckt in einem kompakten Absatz von Descartes’ Meditationen. Der Übersicht halber lässt es sich in drei Sinnabschnitte63 einteilen:
Drei Sinnabschnitte
(A.1) Erstens: Weil ich ja weiß, daß alles, was ich klare und deutlich einsehe,64 genau so von Gott so geschaffen werden kann, wie ich es einsehe, ist es ausreichend, daß ich ein Ding ohne ein anderes klar und deutlich einsehe, um sicher zu sein, daß das eine von dem anderen verschieden ist, weil es zumindest von Gott getrennt gesetzt werden kann. [das ist Prämisse 1] Für die Ansicht, daß sie verschieden sind, ist es ganz unerheblich, durch welche Macht das geschieht;
(B.1) allein daraus also, daß ich weiß, daß ich existiere, und ich bemerke, daß einstweilen schlichtweg nichts anderes zu meiner Natur, bzw. zu meinem Wesen gehört, außer dem einen, daß ich ein denkendes Ding bin [Prämisse 2], schließe ich zurecht, daß mein Wesen allein darin besteht, ein denkendes Ding zu sein [Konklusion 1].
(C.1) Und obwohl ich möglicherweise […] einen Körper besitze, der mit mir äußerst eng verbunden ist – denn ich besitze einerseits eine klare und deutliche Idee meiner selbst, insofern ich ein denkendes, kein ausgedehntes Ding bin, und anderseits die deutliche Idee des Körpers, insofern er lediglich ein ausgedehntes, kein denkendes Ding ist [P2] –, ist es sicher, daß ich von meinem Körper tatsächlich unterschieden bin, und ohne ihn existieren kann [K2].65
Gottesbeweise als Grundlage
Die Aussage, dass alles, was er gemäß seiner Wahrheitsregel (klar und deutlich) erfassen könne, von Gott geschaffen und damit möglich sei, entspricht der Feststellung zu Beginn der Meditation: »Denn es besteht kein Zweifel, daß Gott fähig ist, alles das zu bewirken, das ich klar und deutlich erfassen kann; und ich habe nur dann geurteilt, etwas könne von ihm nicht getan werden, wenn es widersprüchlich wäre […].«66 Damit legt Descartes in (A.1) seine Gottesbeweise als Fundament zugrunde für den Substanzdualismus – ein Zwischenschritt, dessen Notwendigkeit bezweifelt werden kann (siehe Betz).67 Meixner hingegen liest den Teilsatz »et non refert a qua potentia id fiat« als Hinweis darauf, dass Descartes selbst deutlich mache, daß die Bezugnahme auf Gott nicht wesentlich sei.68
In (B.1) indes bestimmt er seine eigene Existenz als wesentlich denkendes Ding, dem keine anderen Eigenschaften zukommen, als jene D-Eigenschaften aus der Zweiten Meditation. Dass ihm diese auch notwendig anhaften, lässt sich mit dem Descartes’ Philosophie inhärenten Essentialismus begründen, der sich etwa in seiner Betrachtung des Wachses andeutet: »[…] mit einem Wort, alles ist vorhanden, was erforderlich zu sein scheint, damit es äußerst deutlich als ein bestimmter Körper erkannt werden kann.«69 Wenn einem Gegenstand, vice versa, keine Eigenschaft zukäme, könnte er nicht als eigenständiger Gegenstand erkannt werden. Die sich daraus als problematisch ergebende Annahme, ob Descartes’ Wesen essentiell im Sinne von einzig im Denken bestehe, ist für sein Beweisziel unerheblich.70
Begründung der Verschiedenheit
In (C.1) erfolgt die Begründung von These 2, indem res cogitans und res extensa aufgrund ihrer wesentlichen Eigenschaften als verschieden beschrieben werden. Dass eine Identität geistiger und körperlicher Dinge, wenn der Notwendigkeit nach (Leibniz’ Identitätsprinzip entsprechend71), so auch der Möglichkeit nach ausgeschlossen ist, veranschaulicht Kripke in seiner Verteidigung der These, dass identische Objekte immer notwendig identisch seien.72
Wenn Descartes auch nicht über die Unsterblichkeit der »Seele« urteilen mag, hat er mit der Unterscheidung von Geist und Körper doch eine Ermöglichungs-Bedingung für die Unsterblichkeit der »Seele« eingeführt – was »ausreicht, den Sterblichen Hoffnung auf ein jenseitiges Leben zu machen«.73 Dass die Prämissen und Konklusionen in (B.1) und (C.1) nach modallogischen Gesetzen gültige Schlüsse ergeben, zeigt Meixner.74
Das zweite Argument
Descartes’ zweites Argument, mit dem er T2 stützt, erfolgt aus der Feststellung eines großen Unterschieds zwischen Geist und Körper, sei doch »der Körper von seiner Natur her stets teilbar […], der Geist aber völlig unteilbar.«75 Das Teilbarkeits-Argument geht weiter wie folgt:
Denn wenn ich den Geist, bzw. mich selbst betrachte, insofern ich lediglich ein denkendes Ding bin, kann ich tatsächlich in mir keine Teile unterscheiden, sondern ich sehe ein, daß ich ein durchaus einziges und vollständiges Ding bin [P1]. […] Dagegen kann ich mir aber kein körperliches, bzw. ausgedehntes Ding denken, das ich nicht leicht im Denken in Teile teilen könnte. […] [P2]. Dies allein würde ausreichen, mich zu lehren, daß der Geist vom Körper völlig verschieden ist [Konklusion] […].
Neben den neuen Prämissen 1 und 2 impliziert dieses Argument vorhergegangene Erkenntnisse, angefangen bei der Gewissheit, ein denkendes Ding zu sein (Ergebnis der Zweiten Meditation) bis zum notwendigen Identitätsausschluss (C.1). Darüber hinaus klingt hier wieder jener Gedanke an, dass Gott etwas, das einer deutlichen Auffassung widerstreite, nicht entstehen lassen könne. Dass wiederum, was gewiss sei, auch notwendig so sei, entspricht wieder einer epistemischen Notwendigkeitsaussage, während es zur Begründung der Verschiedenheit von Geist und Körper doch objektiver, logisch-begrifflicher Modalaussagen bedürfe, weshalb Betz das Teilbarkeitsargument als nicht überzeugend beurteilt.76
Beweis für die Existenz materieller Dinge
Für Descartes ist die reale Verschiedenheit denkender und materieller Dinge damit allerdings bewiesen. So fehlt nur noch ein Beweis für die Existenz letzterer. Diesen bringt er schon früher:
(A.2) Nun ist freilich ein bestimmtes passives Vermögen der Empfindung in mir, […] Ideen sinnlicher Dinge aufzunehmen und zu erkennen [P1]. Dieses Vermögen wäre aber völlig unbrauchbar, wenn nicht ebenfalls ein bestimmtes aktives Vermögen, diese Ideen zu produzieren oder zu bewirken, entweder in mir oder in einem anderen existierte [P2]. Dieses Vermögen kann nun aber nicht in mir selbst enthalten sein, weil […] diese Ideen ohne mein Zutun, oft aber sogar gegen meinen Willen produziert werden. Also bleibt nur übrig, daß es in irgendeiner von mir verschiedenen Substanz ist. Weil ja in dieser Substanz alle Realität entweder formal oder eminent enthalten sein muß, die objektiv in den von diesem Vermögen produzierten Ideen ist […] [K1], ist diese Substanz entweder ein Körper, bzw. eine körperliche Natur, in der nämlich alles formal enthalten ist, das in den Ideen objektiv enthalten ist – oder sie ist statt dessen Gott […]
(B.2) Da Gott nun aber kein Schwindler ist, liegt es auf der Hand, daß er mir diese Ideen weder unmittelbar durch sich, noch vermittelt durch irgendein Geschöpf eingibt […] [P3]. Da Gott mir jedoch nicht das geringste Vermögen verliehen hat, zu erkennen, wie es wirklich geschieht, statt dessen aber eine starke Neigung, zu glauben, daß die Ideen von körperlichen Dingen ausgehen, sehe ich nicht, mit welcher Begründung man sich einsichtig machen könnte, daß Gott kein Schwindler ist, wenn die Ideen von irgendwo anders her als von körperlichen Dingen ausgehen würden. Demnach existieren körperliche Dinge [K2].77
Fazit und Ausblick
In (A.2) bemüht sich Descartes um den Nachweis, dass es von ihm verschiedene Substanzen gibt. In (B.2) begründet er, mit Rekurs auf den ideologischen Gottesbeweis, dass es sich bei diesen Substanzen um materielle Dinge handeln muss. Damit sind einige der leitenden Motive und Argumente dargelegt, mit denen Descartes jene drei Thesen untersucht und untermauert, die zusammen genommen zu seiner Annahme des Substanzdualismus führen; also die Thesen, dass (T1) ein denkendes Ding existiert, (T2) denkende und materielle Dinge real verschieden sind, und (T3) materielle Dinge ebenso existieren. Wie nun res cogitans und res extensa konkret miteinander interagieren sollen, das ist Gegenstand des folgenden Beitrag, über Descartes’ Modell zur psychophysischen Wechselwirkung.
PDF und Unterrichtsmaterial zu Descartes’ Meditationen
Hier eine Auswahl von Unterrichtsmaterial zu Descartes’ Meditationen. 🤓
- Unterrichtsmaterial von der Uni Frankfurt (kostenlos, PDF)
- Unterrichtseinheit von RAAbits Online (kostenpflichtig)
- Selbstlernmodul zur Formulierung von Lehrzielen am Beispiel von Descartes’ Meditationen (PDF)
Hinweis: Seitenangaben & Siglen in den Fußnoten beziehen sich auf die im Literaturverzeichnis aufgeführten Werkausgaben.
Fußnoten
- Vgl. AT VI, 16.
- Vgl. AT VII, 1-2.
- Vgl. AT VII, 6.
- A. Kemmerling (Hg.): René Descartes: Meditationen, S. 5.
- Vgl. AT III, 103.
- AT III, 266.
- Ab dem Vorwort verwendet Descartes den Begriff mens statt, wie in der Widmung, anima.
- Vgl. AT X, 369. Descartes’ Begriffsverständnis von deductionem findet sich in den Regulæ: »per quam intelligimus, illud omne quod ex quibusdam alijs certò cognitis necessario concluditur.«
- Vgl. AT VII, 17.
- Vgl. ebd. 89f.
- Vgl. ebd. 18.
- Vgl. ebd.
- Jay Frank Rosenberg: The Practice of Philosophy. Handbook for Beginners, S, 17.
- Vgl. AT VII, 18f.
- Vgl. ebd., 19.
- Vgl. ebd., 20.
- Vgl. ebd.
- Vgl. ebd., 22.
- Vgl. ebd., 21.
- Vgl. ebd., 22.
- Gregor Betz: Descartes’ »Meditationen«. Ein systematischer Kommentar, S. 57. (fortan GB)
- Vgl AT VII, 155f.
- Vgl. Hans-Peter Schütt: Substanzen, Subjekte und Personen: Eine Studie zum cartesianischen Dualismus, S. 148ff.
- Vgl. GB, S. 107. Dort auch mehr über die »Grenzen des Zweifels«, S. 57ff.
- Vgl. AT VII, 24.
- A. Kemmerling (Hg.): René Descartes: Meditationen über die erste Philosophie, S. 34ff.; der Argumentation folgend, dass der Existenz-Nachweis bei Descartes nicht immer vermittels derselben Überlegung erfolge, und dass das Denken im »gewißheitsstiftenden Gedanken« der Zweiten Meditation nicht explizit thematisiert werde, soll hier vom Existo-, statt Cogito-Argument die Rede sein.
- AT VII, 25 = PhB 598, 28.
- Vgl. AT VI, 32 = PhB 624, 59.
- Vgl. AT VII, 140 = PhB 598, 150.
- Vgl. AT VII, 33: »Nihildum enim aliud admitto in me esse præter mente.«
- Vgl. AT VII, 26.
- Vgl. ebd. 28.
- Ebd. 28.
- GB, S. 221.
- Vgl. ebd., S. 223.
- Vgl. AT VII, 30f.
- Vgl. ebd. 33.
- Vgl. GB, S. 67ff.
- AT VII 35.
- Vgl. AT VIII, 21f.
- Vgl. A VI 4 A, 585ff.
- Vgl. AT VII 36.
- Vgl. AT VII, 40 = PhB 598, 44.
- AT VII, 42 = PhB 598, 46.
- Vgl. ebd.
- Siehe: Thomas’ zweiter Weg in der Summa theologica (ex ratione causae efficientis).
- Vgl. AT VII, 62.
- Vgl. AT VII, 54 = PhB 598, 60.
- AT VII, 54f. = PhB 598, 61.
- AT VII, 57 = PhB 598, 63.
- AT III, 378 = B, S. 237.
- Vgl. AT VII, 13 = PhB 598, 14.
- Vgl. AT VII, 63 = PhB 598, 69.
- AT VII, 65 = PhB 598, 71.
- AT VII, 66f. = PhB 598, 71f.
- AT VII, 67 = PhB 598, 72f.
- AT VII, 67 = PhB 598, 73.
- Vgl. AT VII 69 = PhB 598, 75.
- AT VII, 70f. = PhB 598, 76.
- Vgl. GB, S. 221.
- Vgl. AT, 73f.
- GB, S. 221f.
- Vgl. Gary Hatfield: The Sixth Meditation: Mind-Body Relation, External Objects, and Sense Perception. In: A. Kemmerling (Hg.): René Descartes: Meditationen, S. 126.
- In der Übersetzung von A. Buchenau: »[…] was ich klar und deutlich denke«. Vgl. Uwe Meixner: Descartes’ Argument für den psychophysischen Dualismus im Lichte der modal-epistemischen Logik. In: Grazer Philosophische Studien 35 (1989), S. 86f. (fortan UM): »Etwas (klar und deutlich) als möglich einsehen heißt es (klar und deutlich) denken, nicht etwa es (klar und deutlich) einsehen.«
- AT VII 78 = PhB 598, 85.
- AT VII 71 = PhB 598, 79.
- Vgl. GB, S. 223.
- Vgl. UM, S. 87. Dort findet sich auch eine ausführliche Betrachtung des als gültig erachteten Schlussprinzips aus Absatz (A.1) des ersten Arguments für den psycho-physischen Dualismus.
- AT VII 30 = PhB 598, 33.
- Vgl. UM, S. 93.
- Vgl. GB, S. 106: »Dieses Prinzip besagt, dass sich der Wahrheitswert eines Satzes nicht ändert, wenn man einen seiner Bestandteile durch einen bedeutungsgleichen austauscht.«
- Vgl. S. Kripke: Naming and Necessity, S. 4ff.: »[…] the supposition […] that objects can be ‘contingently identical’, is false. Identity would be an internal relation even if natural language had contained no rigid designators.«
- AT VII, 13 = PhB 598, 14.
- Vgl. UM, S. 95.
- AT VII, 85f. = PhB 598, 92f.
- Vgl. GB, S. 230.
- AT VII, 79f = PhB 598, 86f.