Gleich vorweg: Hier geht’s (ganz und gar) nicht um Bonding im Sinne einer Mutter-Baby-Beziehung. Die Serie Bonding (oder: BONDiNG) beginnt als Geschichte einer jungen Domme und ihrem Assistenten. Sie spielt also im professionellen BDSM-Metier. Das ist, als kurzweilige, schwarzhumorige Comedy im überschwemmten Serien-Markt, ihr Alleinstellungsmerkmal auf Netflix. BDSM steht für Bondage & Discipline, Domination & Submission, Sado & Maso, kurzum: ein tightes Kürzel für ein ganzes Bündel von Fetischen, Kinks, Neigungen, Spielpraktiken, you name it. Wer sich in diesem bunten Spektrum wiederfindet oder einfach nur rein lünkern möchte, kann dies nun umso deeper tun: Im Januar 2021 ist die Staffel 2 von Bonding erschienen. Updates zu Staffel 3 folgen beizeiten. | Serienkritik
Hinweis: Diese Serienkritik enthält keine wesentlichen Spoiler, verrät aber einige Details zur Handlung. Hier ein kleines Glossar
Zur Handlung von Bonding
New York bei Nacht. Vor einem rot beleuchteten Kellereingang rauft sich Pete Carter (Brendan Scannell) die roten Haare und hadert mit dem Eintreten. Drinnen erwartet ihn Tiffany »Tiff« Chester (Zoe Levin). Hier unten bekannt als »Mistress May« (auch daheim wird sie so genannt, von ihrem deutschen Haussklaven Rolph – denn irgendwer muss ja die Wäsche 🧺 machen.) Die ehemaligen Highschool-Freunde Tiff und Pete sind sich offenbar zufällig wieder begegnet und sie hat ihm ein geheimnisvolles Angebot gemacht. Geheimnisvoll insofern, als der schüchterne, schwule Mann nicht wirklich weiß, was er in dem SM-Studio soll… und so wird Pete, der sich eigentlich als Comedian versucht, zum Assistenten einer Domina oder Domme (eine weibliche, dominante Person). Was ist der Unterschied zwischen Mistress, Domina und Domme? Uuuh, Mansplaining-Moment! Ich lasse einem Fachmann den Vortritt…
Es gibt keinen Unterschied. Es sind nur verschiedene Titel für weibliche D-Typen. Manche Dommes bevorzusagen es, »Domina« genannt zu werden. Manche bevorzugen »Mistress«, manche »Miss«, manche bevorzugen »Besitzerin« (owner), manche bevorzugen Ministerpräsidentin. Es ist nur eine persönliche Vorliebe und die Möglichkeiten sind grenzenlos.
Sean Sanders, BDSM-Trainer und 24/7-Praktiker des Lifestyles (via Quora)
Nun denn, dass sich am grundlegenden Setup von Staffel 1 auch in der Fortsetzung nichts ändert, hat schon der Trailer zur zweiten Staffel von Bonding vermuten lassen. Verrät nicht viel, here you go:
Trailer zu Bonding · Staffel 2
Tipp: Ein bisschen was von dem Spielzeug, das es im Trailer zu sehen gibt, ist (in ähnlicher Ausführung) hier erhältlich:
Erster Eindruck: Bonding · Staffel 1
Die erste Staffel erschien am 24. April 2019. Sie umfasst sieben Episoden von je rund 15 Minuten. Das entspricht, unterm Strich, einer guten Spielfilmlänge. Erste Reaktionen waren gemischt – doch nicht wenige sahen in Bonding einen Instant-Serienhit.
The first series can be binge-watched in under three hours. More, again, harder please.
Lucy Mangan (The Guardian) gibt 4 von 5 Sternen
Für die erste Staffel vergab ich nur 2 von 5 Sternen. Da es sich eben um keinen Spielfilm handelt, bedarf es zwar keiner übergeordneten Dramaturgie, okay. Doch die Viertelstunden plätscherten derart dramaturgisch indifferent vor sich hin, dass es mich enttäuscht hat. Angefangen hat’s schon mit einem mittelmäßigen Piloten nach dem konventionellen Schema »Ein Tag im Leben von…«. Nicht gerade fesselnd. Geschrieben wurde die erste Staffel vom Seriencreator selbst, Rightor Doyle.
Basierend auf eigenen Erfahrungen
Die Prämisse basiert, laut Doyle, lose »realen Lebenserfahrungen während meiner Zeit als Assistent einer Dominatrix, als ich erstmals nach New York zog«. Wen’s interessiert, hier sein komplettes Statement, via Instagram:
Persönliche Erfahrungen hin oder her, was mich damals störte: Das Safeword-Konzept dient in Staffel 1 buchstäblich, als Pointe – und andere Regeln wie »Safe, Sane, Consensual« werden nicht nur ausgeklammert, sondern kommentarlos gebrochen. Die zeitgenössisch-politische Komponente (Stichwort: #MeToo), die Doyle proklamiert, ist auch etwas zaunpfahl-esk in die Serie eingebunden.
In Folge 3 bekommen die beiden Hauptfiguren Pete und Tiff endlich eine Szene, die auf etwas mehr charakterliche Tiefe hoffen lässt – doch dorthin begibt sich die erste Staffel im weiteren Verlauf dann doch nur selten – was schade ist: Zoe Levin und Brendan Scannell spielen ihre Rollen voller Charme und Witz und Sinn für Timing (sofern das holprige Drehbuch es zuletzt). Im Großen und Ganzen bleibt Staffel 1 von Bonding eine kurzweilige, schnell vergessene Kostümparade, in der ausgewählte Fetische und Neigungen für Klamauk und Kalauer herhalten. Die BDSM-Szene darf sich zurecht mies repräsentiert fühlen. 🤨
Vom Ring der O und anderen Zeichen
Ich verstehe, dass diese Show lose auf einer persönlichen Erfahrung basiert. Aber sie wirft einen schlechten Schatten auf die professionelle Domina-Tätigkeit. Die Ungenauigkeiten nähren das Stigma von BDSM. Die Serie zeigt nicht wirklich, wie das Leben einer Domina überhaupt ist. Warum ist die Hauptfigur rund um die Uhr eine Bitch? Warum trägt sie ein Halsband mit einem O-Ring? Und warum passt ihr das Korsett nicht richtig? Sie überprüft ihre Kunden nicht ordentlich? …Das Fehlen von Verhandlung und Zustimmung (consent)? Komm’ schon, selbst auf loser Basis sollte es eine bessere Darstellung von BDSM in dieser Serie geben.
Mistress Synful Pleasure, zitiert nach IndieWire
Was ist ein O-Ring? Uuuh, Fashionsplaining-Moment! (Yeah, it’s a thing.)
[Der Ring der O] ist ein unverkennbares Symbol, das unter Menschen verwendet wird, die BDSM praktizieren. Der Name stammt von der weiblichen Hauptfigur in einem Roman mit dem Titel »Story of O«. In der Geschichte wird der Ring von einer Sklavin (im Sinne einer weiblichen, submissiven Person) getragen, nachdem sie ihre »Ausbildung« abgeschlossen hat. Daraufhin muss sie jedem Mann gehorsam sein, der Teil derjenigen Gesellschaft ist, für die sie ausgebildet wurden.
Mollie Crandell (Galore)
Tipp: Das Onlineportal Femelle stellt Die Geschichte der »O« (1954), die von der Schriftstellerin Anne Cécile Desclos unter dem Pseudonym Pauline Réage geschrieben wurde, in deutscher Übersetzung hier als PDF bereit. 📄
Echte und soziale Zeichen
Ein Ring der O ist in der heutigen BDSM-Community als ein Zeichen, mit dem ein Mensch (gleich welchen Geschlechts) selbstbestimmt die eigene Unterwürfigkeit ausdrückt. 🧎 Ein Zeichen also, das auch wieder abgelegt werden kann.
Und was ist ein Stigma? Ein Stigma ist »etwas, wodurch etwas oder jemand deutlich sichtbar in einer bestimmten, meist negativen Weise gekennzeichnet ist« (Duden) – der Begriff stammt vom griechischen στíγμα (stígma), was u. a. »Brandmal« bedeutet (Gemoll). Nun mag die Vorstellung, mit einem Brandmal als Zeichen der Unterwürfigkeit versehen zu werden, durchaus ein (vergleichsweise seltener) Fetisch aus dem BDSM-Kosmos sein (Stichwort: branding). Doch die Annahme, alle Menschen mit BDSM-Neigung oder -Lifestyle seien auf diesen Aspekt ihres Lebens zu reduzieren, und noch dazu die Annahme, dieser Aspekt disqualifiziere sie, alltagstaugliche, freundliche, gesellschaftsfähige Menschen zu sein – das ist eine Art von sozialem Brandmal oder Stigma, auf das in der BDSM-Community niemand steht. Ein Zeichen nämlich, das eben nicht einfach abgelegt werden kann.
Zustimmung ist entscheidend
Und so ist es insbesondere von Seiten professioneller Dominas zu einem Sport geworden, die erste Staffel von Bonding für ihre Mängel zu kritisieren (siehe hier, hier und hier). Gerne auch via Twitter:
The main thing that bothered me was not only the missed opportunity to bring in the theme of consent in a clever way, but in #BondingNetflix consent is horrifically absent. Consent is something the BDSM community, and especially the PRO BDSM community learned very well.
— Domina M in Paris (@DominaM) April 25, 2019
Consent, also Zustimmung, unterscheidet BDSM-Praktiken – ❗️ schlicht und einfach ❗️ – von Missbrauch, häuslicher Gewalt, kurzum: kriminellem Verhalten. Das Menschen mit BDSM-Neigung oder -Lifestyle nicht als Kriminelle dargestellt werden wollen, ist nur verständlich.
Es ist aber auch kniffelig, BDSM-Rollenspiele und die Psychologie zwischen ihren Akteuren gelungen zu inszenieren – jenseits von billiger Sexploitation à la The Pet (2006) oder One Hour Fantasy Girl (2009), oder der Hochglanz-Trilogie Fifty Shades of Grey (2015-18), die eher Romantisierung von Missbrauch als Thematisierung von BDSM betreibt. Und siehe da: Serienschöpfer Rightor Doyle scheint die Kritik gehört zu haben. Selbst eine gelungene Gratwanderung wie Secretary mit James Spader und Maggie Gyllenhaal (2002) wird in BDSM-Kreisen kontrovers diskutiert. Da folgen Lob und Kritik – Schlag auf Schlag.
Will sagen: Serienschöpfer Rightor Doyle und sein Team hätten ahnen können, welch’ heißes Eisen er da anfasst. Nun denn: zweite Staffel, zweite Chance. 🙏
Zweite Chance: Bonding · Staffel 2
Noch deutlicher hätten sie’s nicht machen können, dass die Kritik tatsächlich erhört wurde. Staffel 2 von Bonding umfasst nunmehr acht Episoden (immer noch very bingeable) und beginnt, wortwörtlich, mit einem Lehrgang: Domme 101. Da werden Themen wie consent und ownership ausdrücklich angesprochen und ernst genommen. Denn:
Power is a responsibility, not a priviledge.
Mistress Mira
Mit der erfahrenen Domina Mistress Mira (Nana Mensah), einst und erneut Ausbilderin der Hauptfigur Mistress May, betritt eine neue Protagonistin das Bonding-Parkett. Die Schauspielerin Nana Mensah (The King of Staten Island) hat auch, ebenso wie BDSM-Fachfrau Olivia Troy, am Skript mitgewirkt.
Eine von vielen Dingen, die in vielen Darstellungen von BDSM in den Medien vorkommen, ist, dass es keine Zustimmung (consent) gibt, keine Kommunikation, keine Verbindung. Das Wunderbare an »Bonding« ist nun, dass wir mehr von diesen Elementen einbringen konnten. Es geht wirklich nicht um die Peitschen und die Ketten und die Kostüme und all das Zeug, sondern darum, all das auf Verbindung und Zustimmung zu gründen.
Olivia Troy, zitiert nach: Variety
Zitate aus Bonding
Die Drehbuch-Unterstützung ist der zweiten Staffel anzumerken. ✍️ Sie ist tiefsinniger…
To be a worthy domme you must first truly understand what it is to be a subordinate. To get what that feels like.
Mistress Mira
…und trotz ernsteren Grundtons immer noch ziemlich witzig – auch, wenn’s streckenweise eine klamaukige Kostümparade bleibt, gibt’s schöne Pointen.
The global warming thing’s a bit of a boner-killer.
Der heiße Pinguin-Typ
😅 Erste Reviews schlagen positiven Ton an, nicht nur mit Blick auf die BDSM-Aspekte, sondern auch die Figurenzeichnung:
Vieles in dieser Staffel dreht sich weniger um die lustige Domina, sondern um die Wege der Charaktere. Es gab immer eine Andeutung, dass beide Charaktere schweres emotionales Gepäck mit sich herumtragen und schließlich an einen Scheideweg geraten. Sie verkörpern Unvollkommenheit; ihre Einstellung zum Leben, ihre Beziehungen und ihre »nicht ganz sicheren« Karrierewege. Es ist ein Cocktail aus Quarterlife-Krisen, wie sie die meisten jungen Leute heutzutage umtreiben.
Daniel Hart (Ready Steady Cut)
Tipp: Für eine ausführliche (englischsprachige) Serienbesprechung mit Fokus auf die Darstellung professioneller Dommes und die BDSM-Aspekte der Serie empfehle ich den ausführlichen Beitrag von Danielle Turchiano (Variety).
Fazit zur ersten und zweiten Staffel
Schon in Staffel 1 gab es ja durchaus schöne Dialoge (»Waren wir Loser, in der Schule?«) und lustige Momente (zumindest im Originalton: »…and don’t you watch my penguin ass march away! 🐧«). Zoe Levin und Brendan Scannell liefern ohnehin von Beginn an starke Performances. Die Krux lag am Drehbuch. Bei mir landeten nicht einmal die Hälfte aller Pointen der ersten Staffel und die Darstellung der verschiedenen, allesamt recht überdrehten Kinkster erschien mir eher anstrengend als amüsant. Die Art und Weise, wie Leute von Tischen fallen oder Räume betreten, ohne von den Anwesenden bemerkt zu werden, war purer Slapstick. Und als die erste Staffel in der finalen Folge plötzlich ein ganz neues Genre betrat, geschah das derart unbeholfen, dass ich froh war, als endlich der Abspann lief. 😐
Allerdings ☝️ – gerade im Drehbuch wurde ja ordentlich nachgebessert, und das tut Wunder. Staffel 2 von Bonding ist tiefsinniger, unterhaltsamer, besser und macht tatsächlich Lust mehr.
Staffel 3 · noch mehr Bonding
Bis dato gab’s keine offizielle Ankündigung seitens Netflix, dass es eine Staffel 3 von Bonding geben wird. Doch es wäre schon überraschend, wenn nicht. Immerhin wird das Thema der Serie in Mainstream-Medien immer noch selten genug ambitioniert bespielt, sodass die Nische kuschlig konkurrenzfrei ist. Auch sorgt Bonding schon jetzt für reichlich Diskussionsstoff im Netz, sodass die Community, die sich für diese Serie interessiert, sich an ihr reibt, stößt, stört oder sich für sie begeistert und nach mehr lechzt, nur wachsen kann. More, again, harder please. Bestenfalls kommt die dritte Staffel schon 2022. 😉 (Aus Gewohnheit wollt’ ich hier, à la blasserdünnerjunge, auf Herz und Faust und ZwinkerZwinker enden – aber die Fist schien mir im BDSM-Kontext dann doch a bissel zu hart.)
Updates folgen. Stay tuned.