Dieser Beitrag behandelt das Webvideo Die Zerstörung der CDU von Rezo. Es wurde am 18. Mail 2019 auf YouTube veröffentlicht und sorgte – im Vorfeld der kurz bevorstehenden Europawahl – für einigen Wirbel. 🌪 Nachfolgend bespreche ich einige Themen und Reaktionen auf das Video.
Titel und Thema des YouTube-Videos
Die Zerstörung der CDU sei ein polemischer Titel auf den ein teils polemischer Ton folgt. So liest es sich in Reaktionen (u. a. von ze.tt und Merkur) auf das Video, das der YouTuber und Webvideo-Preisträger Rezo auf seinem Zweitkanal veröffentlicht hat. Das Wörtchen »polemisch« stammt vom griechischen polemikós, übersetzt: »kriegerisch«. In der Umgangssprache hat sich »polemisch« synonym für »unsachlich angreifend« etabliert. Beides passt in Bezug auf besagtes Video nicht so recht. Die Zerstörung der CDU läuft sachlich ab. Rezo spricht über Themen, und über Personen nur im Zusammenhang mit Themen. Diese sind: Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland sowie der Umgang mit dem Klimawandel und der USA. 🇺🇸 Am Ende geht es Rezo um einen ganz pragmatischen Handlungsaufruf.
Sogenannte Ad-Hominum-Argumente, die sich nun auf Alter, Auftreten oder Ausdrucksweise von Rezo beziehen – gegen seine Person – die wiederum sind tatsächlich »unsachlich angreifend«. Als Person hält sich Rezo ziemlich schattig. Er scheint wert darauf zu legen, dass sein bürgerlicher Name nicht in die breite Öffentlichkeit gelangt. 👤 Sein Geburtsjahr ist umstritten, laut Wikipedia 1989 oder 1992. In jedem Fall: ein bisschen egal. Reden wir doch stattdessen lieber über die Themen, die Rezo zur Diskussion gestellt hat. Dazu ist es wie so oft sinnvoll, erst einmal zuzuhören. Hier ist das Video.
Die Zerstörung der CDU + Link zur Zusammenfassung
Tipp: Inzwischen gibt’s einen eigenen Wikipedia-Artikel zum Webvideo Die Zerstörung der CDU. Darin findet sich auch eine kurze inhaltliche Zusammenfassung.
Die Zerstörung hat Tradition
Das Video Die Zerstörung der CDU steht in junger Tradition zu früheren Aufklärungs-Videos, die Rezo veröffentlicht hat. Darin ging es einmal um die Propaganda zu Artikel 13 und ein andermal um Reaction-Videos auf YouTube am Beispiel des YouTubers 2Bough. Schon diese 40-minütige Dekonstruktion eines schädlichen Verhaltensmusters trägt den Titel Die Zerstörung von 2Boughs Image. Es wurde erst im Januar 2019 veröffentlicht. Wie hat 2Bough reagiert? Er hat sich mit Rezo aufs Sofa gesetzt und eine Video-Botschaft aufgezeichnet. Darin zeigt er sich reumütig, gibt Fehler zu und entschuldigt sich. 🙏 Rezo betont, dass »eine Chance zum Neuanfang« zu geben das Anständige und Richtige sei, was wir alle tun sollten.
Nachtrag! Inzwischen hat Rezo mit Die Zerstörung der Presse nochmal nachgelegt. 🗞 Dazu ein Vertreter der Presse:
Die Zerstörung der Presse · Reaktion
Der audiovisuelle Essay mit dem Titel »Die Zerstörung der Presse« ist in Vehemenz, Präzision und Aufmachung angelehnt an »Die Zerstörung der CDU«, mit dem Rezo vor Jahresfrist die großen Volksparteien ins Schwimmen gebracht hat. Gleiches gelingt ihm hier mit den etablierten Medien, wenn man die empfindlichen Reaktionen von Julian Reichelt (Bild) und Jasper von Altenbockum (FAZ) auf Twitter richtig interpretiert. […]
Rezo repräsentiert weniger eine diffuse »Generation YouTube« als vielmehr eine konkrete Kohorte, die sich mit […] strukturellen Fehlern nicht mehr abfinden muss. Weil es, ein wenig guten Willen vorausgesetzt, technische Mittel und Wege gibt, den Fehlern mühelos auf die Schliche zu kommen. Weshalb dieses Video keine Zerstörung ist, sondern eine Liebeserklärung.
Arno Frank (Spiegel)
Die Zerstörung der CDU · Erste Reaktion
Die CDU wollte zunächst mit einer Video-Botschaft reagieren. Diese wurde bereits gedreht, mit Philipp Amthor als Sprachrohr, dann jedoch nicht veröffentlicht. Amthor im Interview: »…das ist nicht der Stil der CDU.« »Mit anderen Worten: Mein Video war scheiße und wir haben’s weggeschmissen«, so die Auslegung der ZDF heute-show. 😅 Aber nein, die CDU versichert via PDF:
Wir haben ein klasse Produkt erarbeitet, in dem das steckt, was die Mitarbeiter der CDU wie die Wahlkämpfer im Europawahlkampf, Landtagswahlkampf in Bremen und im Kommunalwahlkampf in zehn Ländern derzeit jeden Tag geben: Herzblut, Einsatz und Kreativität.
Weshalb wird es dann nicht veröffentlicht? 🤔 Die Antwort darauf lautet:
Wir haben […] abgewogen, ob eine Antwort auf derselben Ebene – Video gegen Video – für uns als CDU die richtige, die angemessene Antwort ist. Ob es der notwendigen politischen Auseinandersetzung hilft oder Politik zum Spektakel macht.
Das irritiert, da die CDU durchaus auf Social Media aktiv ist. Sie betreibt auch einen YouTube-Kanal, der immerhin als »angemessen« genug empfunden wird, um darauf Wahlkampf zu betreiben. Doch der »notwendigen politischen Auseinandersetzung«, die tagtäglich auch und insbesondere auf YouTube stattfindet, möchte sie dort nicht beiwohnen. Natürlich geht es in den Vlogs und Kommentaren nicht immer ganz versiert und höflich zu. Also quasi so wie in Schützenzelten, auf Straßenfesten, im Bundestag – überall, wo Menschen miteinander ins Gespräch kommen. Wobei sich unmöglich ignorieren lässt, wie respektvoll der Ton in Die Zerstörung der CDU ist – im Anbetracht von Rezos berechtigter Empörung.
Offene Antwort an Rezo · CDU-Reaktion | PDF
Stattdessen gibt’s eine schriftliche Antwort von der CDU, die am Donnerstag, 23. Mai ihre Offene Antwort an Rezo: Wie wir die Sache sehen als PDF veröffentlichte – wenige Tage vor der Europawahl 2019. Darin gehen sie auf einige Punkte aus Rezos Video Die Zerstörung der CDU ein. Die Offene Antwort beginnt mit einer Feststellung. »In unserem freien Land darf jeder seine Meinung äußern, Gott sein Dank« – na ja, Grundgesetz sei Dank, aber weiter im Text…
Zum Thema Klimaschutz erwidert die CDU im Wesentlichen: »Aber die Anderen…« – ja, die müssen auch mitmachen, stimmt. Mich stört die Argumentationsfolge: »Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen, doch alleine…«, so kommen wir nicht weiter. Die globalen Zustände sind katastrophal und die USA und China gehen nicht gerade als tolle Galionsfiguren vorweg, ABER Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen – so herum. Wem nutzt es, wenn wir in x Jahren feststellen, dass Abkommen y nicht eingehalten wurde? Diesbezüglich hätte ich mir in der Offenen Antwort einen Kommentar zur RWE AG gewünscht.
Zum Thema Krieg schreibt die CDU in fetten Buchstaben: »Die USA und ihre Verbündeten bekämpfen den Terrorismus aufgrund der Angriffe auf New York und Washington am 11. September 2001«, mit Hinweis auf die Selbstverteidigungsklausel. Was hier fehlt, ist ein Hinweis auf den Selbstverschuldungskontext. Der Terrorismus kommt ja nicht aus dem Nichts. Die »Bedrohung des Weltfriedens« geht weniger von dem Terrorismus aus als vom Kriegstreiben der USA. Da wird auf die Tötung Bin Ladens fett hingewiesen, aber empörend geschichtsvergessen über den Irak-Krieg geschrieben und doch tatsächlich Rot-Grün in ihrer Ablehnung militärischer Konsequenzen angeprangert, statt George Bush für die Lügen, die zu dem Krieg führten. WTF, CDU?
Tipp: Zum Thema Afghanistan, das laut CDU kein Rückzugsort für Terroristen mehr sei, hier ein ausführlicher Beitrag zur Situation in Afghanistan (Link folgt).
Der Umgang mit der USA
Zum Thema US-Atombomben beschwört die CDU zu guter Letzt und einmal mehr das Feindbild Russland, gegen das wir eine glaubwürdige Drohkulisse brauchen. Wer hat nochmal als einzige Weltmacht Atombomben im Krieg eingesetzt? Und wer hat mit über 1.700 Atomsprengköpfen die meisten Atomwaffen weltweit? Ich weiß wirklich nicht, weshalb ich mich mit einem launigen Lügenbaron wie Trump am längeren Hebel sicherer führen sollte. Die CDU hat wohl leider recht mit der Feststellung, dass die beidseitige atomare Abschreckung zur bis dato längsten Friedensperiode Europas beiträgt. Das Schwarzweiß-Zeichnen klassischer Freund-Feind-Bilder tut’s jedoch nicht.
Das Thema Ramstein wird in der Offenen Antwort mit nur einem Satz abgehandelt, plus Link zum Sachstand. Während die CDU auf die begrenzten Möglichkeiten hinweist, Ermittlungen anstellen zu können – Stichwort: Immunität – heißt es im Sachstand ziemlich klar: Aufenthaltsvertrag und Truppenstatut können aufgekündigt werden. Das jedoch, heißt es wenige Sätze später, dürfte »politisch nicht gangbar sein.« …nicht einmal als politische Antwort auf die Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA? So sehr es schmerzt, Trump als Vorbild anzuführen, aber er zeigt doch (wenn auch stets zum Schlechteren) recht deutlich, was »politisch gangbar« gemacht werden kann. Dazu müssten wir uns allerdings die USA statt Russland zum Feind machen, und das schreckt tatsächlich mehr ab.
Fazit zu Die Zerstörung der CDU
Schon vor Rezos Die Zerstörung der CDU (doch erst seit Gretas Schulstreiks fürs Klima, danke dafür!) kamen mir ernsthafte Zweifel. Bis dato hatte ich guten Gewissens die CDU gewählt, deren Auftreten und Politik ich in weiten Teilen vertretbar, zuweilen vorbildlich fand. Allerdings entspringt meine Zuwendung teils auch aus der lang gehegten Überzeugung, dass es große, starke Parteien braucht, um politische Ideen umsetzen zu können. Diese Überzeugung wankt seit dem Mitverfolgen der US-Wahlen insbesondere im Jahr 2016 gewaltig. Was bringen wenige starke Parteien, wenn sich daraus die Wahl zwischen zwei miesen Optionen ergibt? Oder die eine Partei die andere in ihrer Agenda bis hin zur politischen Schikane ausbremsen und blockieren kann?
Negativ-Optionen sind natürlich ätzend. 😐 Ich würde gerne für etwas wählen – und nicht gegen etwas. Schon in den vergangenen Jahren galt meine Stimme der CDU jedoch vor allem deshalb, um ein Zeichen gegen die AfD zu setzen. Tatsächlich empfinde ich es dahingehend durchaus als Positiv-Wahl, ein Zeichen für den Klimaschutz zu setzen. Klar, dem Klima ist nicht damit geholfen, wenn in Deutschland viele kleine Parteien irgendwie eine Koalition zusammenschustern müssen – darauf zielt das Zeichen auch nicht ab. Es geht darum, den großen Parteien zu signalisieren, dass sie ihre Prioritäten neu sortieren und deutlicher durchsetzen müssen.
Was das Image ganz bestimmt nicht aufpoliert, sind Kommentare wie Kramp-Karrenbauers erstes Statement zu Rezos Video Die Zerstörung der CDU: »Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab.« 🤦♂️ Mal abgesehen davon, dass die biblische »Faktenlage« in dieser Aussage nicht stimmt (es waren 10 Plagen), ist das eine ganz schön enttäuschende Antwort auf ein 55-minütiges Video mit konkreten Kritikpunkten.
Weitere Reaktionen zu Die Zerstörung der CDU
Zu guter Letzt noch andere Antworten auf Rezo: von Teenager-Mutter Jeanette Hagen (ihrerseits via YouTube), in einer Reflektionsrunde via ZDF und von Seiten des CDU-Rentners Ruprecht Polenz, der einen besseren Ton trifft, als die PDF der Partei, via Facebook:
Nachtrag: Restriktive Rüstungspolitik
Nach meinem Bedauern darüber, dass Rezo im Rahmen seiner Zerstörung der CDU die Waffenexporte aus Zeitgründen ausgeklammert hat, hier nun doch noch ein Beitrag zum Thema Waffenexporte aus Deutschland 2018. Anstoßgeber war nicht Rezo, sondern Tilo von Jung & Naiv. Der hat sich mit einem Video-Upload am 22. Juni 2019 über den Gebrauch des Wörtchen »restriktiv« bezüglich unserer Waffenexportpolitik ausgekotzt – mit aussagekräftigen Zahlen. Allein in der Argumentation hinkt’s ein bisschen. Hier erst einmal das Video, um das es im Folgenden geht.
Tilo Jung bezieht sich hier auf den Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2018. Der ist hier als PDF verfügbar. Ein paar Eckdaten über die Waffenexporte aus Deutschland 2018 vorweg:
Waffenexporte aus Deutschland 2018
Im Jahr 2018 wurden Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Höhe von 4,82 Milliarden Euro (2017: 6,24 Milliarden Euro) erteilt. Dabei entfiel ein Anteil von 47,2 Prozent (2017: 39,2 Prozent) auf Genehmigungen für Lieferungen in EU-/NATO- und NATO-gleichgestellte Länder, die eine besonders enge sicherheitspolitische Partnerschaft mit Deutschland verbindet. Für Drittländer wurden Ausfuhrgenehmigungen in Höhe von 2,55 Milliarden Euro (2017: 3,795 Milliarden Euro) erteilt.
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
Ergänzend verweist der fesche Herr im Shame-Shirt noch auf einen Spiegel-Artikel über die größten Waffenlieferanten der Welt. (Deutschland tummelt sich auf Platz 4.) Woran Tilo Jung sich stört, ist das Wörtchen »restriktiv«, das die Bundesregierung gerne im Zusammenhang mit ihrer Waffenexportpolitik benutzt. Restriktiv heißt »ein- oder beschränkend« (wer’s genau wissen will, hier geht’s zum Duden-Eintrag.)
Nun rechnet Tilo Jung nach (und wird darin von der Bundesregierung bestätigt), dass über 99 Prozent der Anträge auf Waffenexporte akzeptiert werden. Daraus schließt er, dass »restriktiv« nicht das richtige Adjektiv für diese Politik sei. Fernsehjournalist Hans Jessen (ARD) springt Jung bei und bezeichnet das Wort »restriktiv« als euphemistisch, also beschönigend oder verhüllend. Warum nicht einfach davon absehen, diese Waffenexportpolitik dauernd als »restriktiv« zu bezeichnen?
Der Türsteher-Vergleich
Mal abgesehen davon, dass wir hier Wortklauberei betreiben, während die Bundesrepublik weiterhin als vierstärkste Rüstungslieferantin große Teile Welt bewaffnet: Der Türsteher-Vergleich haut nicht ganz hin. Jung sagt, einem Türsteher, der 99 Prozent der Leute reinlasse, würden wir doch auch keine »restriktive Türpolitik« bescheinigen. Den Gedanken weiterführend meint er, dass ja wohl kaum vor dem Club herum lümmelnde Betrunkene auf das Einreihen in die Warteschlange verzichten würde, wenn sie doch selbst sähen, dass quasi alle reinkämen.
Denn so argumentiert ja wiederum die Bundesregierung. Eben weil sie hinsichtlich der Rüstungsexporte so restriktiv sei, gingen halbherzige Exportanträge gar nicht erst ein. Daher müsse der BRD-Türsteher auch nicht allzu oft »Du kommst hier net raus« zu beantragten Rüstungslieferungen sagen. Ein Auszug aus dem Rüstungsbericht über Waffenexporte aus Deutschland 2018 bestätigt das (auf der obigen Pressekonferenz nicht allzu wirkungsvoll vorgetragene) Argument.
Da die Akquirierung neuer Aufträge Kosten verursacht, stellen viele Unternehmen bei Ausfuhrvorhaben in sensitive Länder vor Einreichen eines Genehmigungsantrages eine Voranfrage bezüglich der Genehmigungsaussichten an die Kontrollbehörden. Falls das Ergebnis dieser Voranfrage negativ ausfällt, wird nur noch in sehr seltenen Fällen ein formeller Genehmigungsantrag gestellt, dessen Ablehnung dann in der statistischen Aufstellung (Anlage 8) erfasst wird. In aller Regel werden nach einer negativ beantworteten Voranfrage aussichtslos erscheinende Anträge gar nicht erst gestellt.
S. 21
Tatsache ist ja, dass die deutschen Rüstungsfirmen nicht wie ein paar Betrunkene vorm Türsteher herum torkeln und lallend überlegen, ob sie’s mal versuchen wollen. Im Gegenteil: Sie sind sich ihrem Vorhaben durchaus bewusst, sind zurechnungsfähig und berechnend darin, wie und wohin sie ihre Waffen loswerden. Macht die Sache nicht besser. »Restriktiv« hin oder her: Es muss weniger werden.