Ist das Drehbuch nur gut genug, kann der Film so schlecht nicht werden. Das hat schon Hitchcock gepredigt: Drehbuch, Drehbuch, Drehbuch, das seien die drei wichtigsten Dinge für einen guten Film. Nehmen wir mal ein Bühnenstück, das Shakespeare vor über 400 Jahren quasi in Drehbuch-Form verfasst hat: Im Folgenden geht’s um drei Romeo-und-Julia-Adaptionen, die den Zeilen des Originals mehr oder weniger treu bleiben. Trotzdem wurden die Verfilmungen arg verschieden aufgenommen – von Bewunderung bis zum Zerriss. Unterm Strich verdient diese zeitlose Liebesgeschichte, so viel vorweg, natürlich vollste Punktzahl. ❤️
Shakespeares Vorlage
Eigentlich käme hier zunächst eine Inhaltsangabe zur Geschichte, um die geht – samt Hinweis, ob im Folgenden womöglich Spoiler enthalten sind. Das kann ich mir bei Romeo und Julia getrost schenken, da der große Meister selbst alles vorwegnimmt: In dem Prolog von Romeo und Julia (der in jeder hier besprochenen Film-Adaptionen einigermaßen wortgetreu rezitiert wird) fasst Shakespeare sein Stück höchstpersönlich zusammen und haut dabei selbst die dicksten Spoiler raus. Die Zeichnerin Mya L. Gosling (Good Tickle Brain) hat diesem fragwürdigen Auftakt einen kleinen Comic gewidmet.
Tipp: Eine Zusammenfassung (mit Spoilern) gibt’s im Video Romeo und Julia to go von Michael Sommer.
Williams Shakespeare schrieb Romeo und Julia gen Ende des 16. Jahrhunderts, inspiriert und beeinflusst von Arthurs Brookes Epos The Tragical History of Romeus and Juliet (1562). Ein fiktives Liebespaar mit diesen Namen geisterte längst durch die Werke europäischer Literatur.
Das Motiv an sich, von zwei tragisch Verliebten, ist noch sehr viel älter. Schon Hero und Leander, zwei Gestalten der griechischen Mythologie, mussten ihre Liebe mit dem Leben bezahlen. 😢
Kurzum: Bereits Shakespeare erfand das Rad nicht neu. Doch er schrieb eine bemerkenswert gelungene Version von Romeo und Julia, vom Arrangement der Szenen bis hin zur Sprache der Figuren. Dazu starke Dialoge und nicht wenig Humor – ein Meisterwerk war geboren!
So wilde Freude nimmt ein wildes Ende, / Und stirbt im höchsten Sieg, wie Feu’r und Pulver / Im Kusse sich verzehrt. Die Süßigkeit / Des Honigs widert durch ihr Übermaß…
Lorenzo (Sechste Szene)
Buchtipps zu Romeo und Julia:
- Romeo und Julia (Englisch / Deutsch)
- Romeo und Julia (Insel Taschenbuch)
- Analyse zu Romeo und Julia (für’s Abi)
Über 30 Romeo-und-Julia-Adaptionen
Kaum wurde rund 300 Jahre nach Shakespeares Tragödie das Kino erfunden, gaben sich Romeo und Julia erstmals als Filmpaar die Ehre. Von einem Kurzfilm im Jahr 1908 (der heute als verschollen gilt) bis in die Gegenwart zählt die Liste von Romeo-und-Julia-Adaptionen weit über dreißig Werke 😳 – hier wollen wir uns nur drei der populärsten respektive jüngsten Verfilmungen annehmen.
- Romeo und Julia (1968, Blu-ray)
- Shakespeares Romeo + Julia (1997, Blu-ray)
- Romeo und Julia (2013, Blu-ray)
In der Schule habe ich das Stück tatsächlich nicht gelesen. Stattdessen sah ich vor kurzem erst die Adaption von Baz Luhrmann und dachte – Huch! – so ein flippiges Spektakel im MTV-Look, das ist Romeo und Julia, diese uralte Romanze, um die ich mich herumgedrückt habe? Mein Weltbild stand Kopf. Also las ich doch mal die Tragödie und sah mir weitere Filme an, um wieder auf mein Leben klarzukommen.
Heimkino-Tipp: Für Film-Sichtungen verwende ich als Beamer den BenQ TH681 Full HD 3D DLP-Projektor und diese Leinwand – kann ich als Setup nur empfehlen. Richtig gutes Zeug.
Romeo und Julia (1968)
1968 wurde Romeo und Julia erstmals mit jugendlichen Schauspielern in den Hauptrollen umgesetzt (hier geht’s zum Stream). In Shakespeares Stück sind die beiden Verliebten zwischen 13 und 14 Jahren alt. Arg jung aus heutiger Sicht, wenn wir an die todernsten Duelle und das Hals-über-Kopf-Heiraten denken. 👰🏽 🤵🏽
Das Alter von Romeo und Julia
Als der Regisseur Franco Zeffirelli im Rahmen einer weltweiten Suche nach unbekannten Gesichtern fündig wurde, waren Leonard Whiting 17 und Olivia Hussey 15 Jahre alt. Trotz Husseys Minderjährigkeit enthält der Film eine Szene, in der das Paar nackt im Bett liegt (nicht: rummacht, wohlgemerkt) und kurz Julias Brüste zu sehen sind. »Soft Porn«, pönte darüber ein Pastor der Grace Christian Fellowship (USA) und forderte eine Kürzung des Films, der im Englisch-Unterricht seiner Gemeinde behandelt wurde. Zeffirelli dazu:
Wenn er in ein Museum kommt, dreht sich dieser Mann auch von Aktgemälden weg? […] Ich weiß nicht, wie jemand Anstoß an dieser Szene nehmen könnte!
Franco Zefferelli, Pitch Weekly
Die Kirche störte sich gewiss mehr an der Nacktheit an sich, als am Alter der Kids. Apropos: Hier die Filmkritik zu Spotlight (2015) über den Missbrauchs-Skandal in der römisch-katholischen Kirche in Boston. (Link folgt)
Romeo und Julia im Interview
Aufgrund der amerikanischen Gesetzeslage war es Hussey wegen der Nacktszene nicht erlaubt, ihren Film in amerikanischen Kinos zu sehen. Der Jugendschutz hat sie vor dem Anblick ihrer eigenen Brüste bewahrt, well done, ’Merica. Auf diesen absurden Umstand wurde die (dann 16-jährige) Hussey bei einem Interview im Jahr 1968 angesprochen, während sie entspannt ihre Zigarette raucht. Hach ja, andere Zeiten… das Interview gibt’s via YouTube zu sehen.
William Shakespeares Romeo + Julia (1996)
1997 nahm sich Baz Luhrmann des Stoffes an und inszenierte ihn in einer Art und Weise, die für ihn bald zum Markenzeichen werden sollte: bunt und schrill, Theater für die Leinwand. Sein Romeo + Julia gilt inzwischen als zweiter Teil seiner Red-Curtain-Trilogy, zusammen mit Strictly Ballroom (1992) und Moulin Rouge (2001).
Luhrmann behält Shakespeares Sprache bei, verpackt dessen Stück jedoch in neuem Gewand, mit Knarren statt Schwertern, in einer Mafia-Stadt der Gegenwart. Kluger Zug – verbietet sich damit doch jeder Vergleich mit der meisterlichen Adaption von 1968 (zum Stream).
Was ich mit Romeo + Julia machen wollte, war einen Blick darauf zu werfen, auf welche Weise Shakespeare selbst einen Film aus einem seiner Stücke gemacht hätte, wenn er Regisseur gewesen wäre. Wie hätte er es angestellt? […] Wir wissen vom elisabethanischen Theater und dass er für 3.000 betrunkenen Zuschauer*innen gespielt hat, vom Straßenkehrer bis zur Königin von England – und seine Konkurrenz waren Bärenjagd und Prostitution. […] Er war also ein unermüdlicher Entertainer und Anwender unglaublicher Techniken und theatralischer Tricks.
Baz Luhrmann im Interview
Luhrmanns Mercutio
Ein cooler Charakter in Luhrmanns Film ist Mercutio (Harold Perrineau, Jr.). Anthony Johae über die Figur:
Mercutio, die Drag-Queen, wird (während des Karnevals) »gekrönt« mit einer Frauenperücke und in ein weißes Kleid gehüllt. Außerhalb (des Karnevals) in der wirklichen Welt bacchalanischer Exzesse, da ist er ein schwarzer Mann, der weder zum hispanischen Haus der Capulets noch zum kaukasischen Haus der Montagues passt. Er wäre ein Außenseiter, wenn er nicht (platonisch oder anders) mit Romeo befreundet wäre.
Ist diese Freundschaft homoerotischer Natur? Einen Hinweis darauf bespricht Lily Margaret Jones in einem Beitrag über Mercutios Darstellung als queer in Luhrmanns Adaption. Es geht um die Szene, in der Tybalt gegenüber Romeo und Mercutio eine sexuelle Beziehung zwischen eben diesen beiden andeutet. Mercutio zieht daraufhin erbost sein »Schwert«. (Eigentlich ’ne Schusswaffe, doch die phallische Wortwahl bleibt bestehen).
Da das Gegenteil von Liebe nicht Hass sondern Gleichgültigkeit ist, könnte Mercutios empfindliche und defensive Reaktion auf den Vorwurf der Homosexualität andeuten, dass er selbst schwul ist. […]
Lily Margaret Jones
Interessant ist nicht nur Mercutios Freundschaft mit Romeo, der unberührt bleibt von Mercutios offener Darstellung von Weiblichkeit, sondern auch Mercutios Verhältnis zu Benvolio und den anderen Montague-Jungs. Niemand zeigt sich homophob gegenüber Mercutio. Das zeigt, dass Mercutio entweder gar nicht (in welcher Art auch immer) queer ist, oder dass es in Luhrmanns Verona-Beach-Universum schlicht »okay« ist, queer zu sein – oder beides.
Tipp: Apropos queer und das Spiel mit Geschlechtsidentitäten, hier gibt’s einen Filmtipp zu Female Trouble (1974) sowie ein Beitrag zu Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter (1990).
Romeo und Julia (2013)
2013 dann das: Eine Neuverfilmung der Tragödie wieder im historischen Gewand (hier geht’s zum Stream). So wie der Klassiker von 1968, nur unendlich prunkvoller. Co-produziert wurde Romeo und Julia (2013) von Swarovski, dem Kristallglas-Hersteller. Von der Kritik wurde diese Adaption regelrecht zerrissen. Zum einen werde Shakespeares Sprache nicht angemessen vorgetragen (dazu kann ich mangels Fachkenntnis nix sagen). Zum anderen, weil das Original-Werk umgeschrieben worden sei.
Tatsächlich fließen in Shakespeare Tragödie plötzlich Floskeln ein wie »mit guten Vorsätzen ist die Hölle gepflastert«. Welch Ironie, dass nun dieser Film selbst als so ein Pflasterstein gesehen werden kann, der die Hölle dekoriert. Die Geschäftsfrau Nadja Swarovski meinte es jedoch nur gut.
Wir dachten, es sei sehr wichtig, »Romeo und Julia« auch der jüngeren Generation auf eine sehr angenehme Weise zu übermitteln.
Nadja Swarovski via YouTube
R+J für Gen Z
Der Film sieht grandios aus in Sachen Kulissen, Kostümen, Lichtsetzung – und ist prominent besetzt. Etwa mit Natascha McElhone (Californication), Paul Giamatti und Ed Westwick, welcher der Zielgruppe dieses Films aus der Serie Gossip Girl bekannt sein könnte. Nun, wenn der Film einem jugendlichen Publikum und (auf neumodische Weise) an Shakespeare heranführt, dann kann’s herzlich egal sein, was ach so gestandene Filmkritik-Fuzzis von der Umsetzung halten. Sie sind einfach nicht gemeint. 🤷♂️
Filmkritiker wie Ty Burr (The Boston Globe) zum Beispiel, der ernsthaft ins Felde führt, der Film verstoße gegen die Kardinal-Regel von Romeo-und-Julia-Verfilmungen, dass der Romeo (gespielt von Douglas Booth) »nie hübscher sein dürfe als die Julia« (Hailee Steinfeld). Das meint auch Justin Chang (Variety). Shame on you, guys.
Mit solch oberflächlichen, irrelevanten Bemerkungen wollt ihr eure tiefgründige Kritik untermauern, die neumodische Verfilmung aus 2013 werde Shakespeare nicht gerecht? Pah. Über solch plumpen Sexismus hätte Willy Shakespeare seine verkokste Nase gerümpft.
Romeo-und-Julia-Adaptionen · Favorit und Fazit
Wie gesagt, Baz Luhrmanns Romeo + Julia (1996) läuft außer Konkurrenz. Das Ding funktioniert als eigenwilliges Kind seiner Zeit, den videoästhetisch trashigen 90er Jahren. Romeo und Julia aus dem Jahr 2013 ist bei aller Kritik ein Augenschmaus, ein wirklich schöner Film, dessen Soundtrack mir persönlich sehr gefällt (Sonia und ich haben zu einem der Tracks dann sogar unseren Hochzeitstanz hingelegt – Filmkritikerin Susan Wloszczyna hingegen schimpft den Soundtrack »Fahrstuhl-Musik« – tja, Geschmäcker 😅).
Was ich an der Tonspur auszusetzen hätte: Dass Romeo in der deutschen Synchronisation wie Bart Simpson klingt, das macht das Reinfühlen in die Romanze ein kleines bisschen unmöglich. Dann doch lieber auf Englisch schauen, nix verstehen und einfach die schönen Bilder genießen.
Mein Favorit von den Romeo-und-Julia-Adaptionen ist und bleibt die Verfilmung von 1968. Der Film ist grandios gespielt von allen Beteiligten, mit jeder Menge Temperament und Humor. Das gegenseitige Anhimmeln der jungen Liebenden ist so übertrieben wie glaubwürdig.
Wenn Romeo (Leonard Whiting) den Baum zu Julias Balkon hochklettert oder im nebligen Morgengrauen freudig springend durch Wald und Wiese rennt, dann strahlt die Figur ein jugendliches Verliebtsein aus, an dass DiCaprio und Booth nicht herankommen.
Auch Olivia Hussey spielt die Rolle der Julia so vielseitig, dass sie weit mehr ist, als ein begehrenswertes love interest. Hussey schmachtet und schwärmt und scherzt und schimpft und schluchzt und reißt das Publikum in jeder ihrer Emotionen mit. Chapeau! 👏
Sterben im Staub · Liebe statt Krieg
Stark ist auch die Schwertkampf-Szene rund um Mercutio, Tybalt und Romeo. Sie spielt auf den leergefegten, glühenden Plätzen Veronas. Voller Spannung und Witz inszeniert, wandelt sich ein anfangs harmloses Duell zu einem packenden Kampf um Leben und Tod. Mit wilden Schlägen und Wälzen im Staub, unschön, aber umso echter.
Dagegen können DiCaprios tränenreicher Schuss und das bisschen Schwert-Kling-Kling der 2013er-Verfilmung einpacken. Als Erzähler in der italienischen Fassung ist übrigens Vittorio Gassman zu hören, bekannt aus Verliebt in scharfe Kurven (1962).
Romeo und Julia als junge Verliebte, die sich trotz verfeindeter Familien in die Arme fallen – das lässt sich übrigens auch in der Adaption von 1968 als »Kinder ihrer Zeit« beschreiben. Sie funktionierten prima als Identifikationsfiguren für die 68er-Generation, die nichts mit den Kriegen ihrer Eltern am Hut haben wollte. 😘
Make love, not war.
Romeo und Julia · Zitate
Kein Hindernis […] hält Liebe auf; was Liebe kann, das wagt sie auch.
So grenzenlos ist meine Huld, die Liebe so tief wie das Meer. Je mehr ich gebe, je mehr hab’ ich.
Beides ist unendlich.
So wilde Freude nimmt ein wildes Ende und stirbt im höchsten Sieg, so wie Feuer und Pulver im Kusse sich verzehren.