Ghost Stories (2017) ist ein feines Horror-Häppchen für zwischendurch – sehr bekömmliche Genre-Kost aus Groß-Britannien, serviert als Drei-Gänge-Menü. Denn der 98-minütige Film funktioniert zunächst als Anthologie, die drei eigenständige Gruselgeschichten erzählt. Erst im letzten Akt wird das Ganze kunstvoll miteinander verstrickt. Geschrieben und inszeniert wurde Ghost Stories von Jeremy Dyson und Andy Nyman (der auch die Hauptrolle spielt). Nachfolgend eine kleine Kritik sowie eine Erklärung zur Auflösung bzw. zum Ende des Films. 👻
Hinweis: Dieser Text enthält Spoiler, allerdings erst im Abschnitt Erklärung zum Ende.
Worum geht’s in Ghost Stories? · zur Handlung
Die religiösen Überzeugungen meines Vaters haben meine Familie zerstört. Wir müssen so vorsichtig sein, woran wir glauben.
Philip Goodman
Als Jugendlicher erlebt Philip Goodman mit, wie seine Schwester vom strenggläubigen Vater rausgeschmissen wird, weil sie mit einem asiatischen Mann anbändelte. Jahre später, als Erwachsener, ist Goodman ein bekannter Professor mit eigener Fernsehsendung: Hellseher oder Betrüger? Darin entlarvt er die unlauteren Techniken sogenannter »Psychics«. Das sind Menschen, die sich als »Medien« mit Gespür für paranormale Phänomene ausgeben und zum Beispiel behaupten, zu Toten sprechen zu können. Mit seiner Sendung will Goodman dem Publikum den Aberglauben austreiben, der seiner eigenen Familie so geschadet hat. Doch dann gerät er an drei Fälle, die sein Selbstvertrauen gründlich erschüttern sollen.
Aberglaube vs. Glaube · der Unterschied
Was ist der Unterschied zwischen Aberglauben und Glauben? Für den Protagonisten Philip Goodman in Ghost Stories scheint es da keinen zu geben: Sein Vater war ein überzeugter Jude und damit genauso sehr »von allen guten Geistern verlassen«, wie Menschen, die eben an Geister glauben. Definiert wird Aberglaube »als irrig angesehener Glaube an die Wirksamkeit übernatürlicher Kräfte in bestimmten Menschen und Dingen« (Duden) – womit für einen atheistischen Menschen tatsächlich kein Unterschied zwischen Aberglauben und Glauben bestehen dürfte. 🤷♂️ Letzterer ist einfach etwas weiter verbreitet und fester institutionalisiert, so wie Kirchen gegenüber Sekten.
Aberglaube in der Coronakrise
Das Wort »Aberglauben« klingt nach einem mittelalterlichen Konzept. Stattdessen ist es in der Gegenwart erschreckend weit verbreitet. Vor kurzem erst machte eine alte »Prophezeiung« von Sylvia Browne die Runde. Die 2013 im Alter von 77 Jahren1 verstorbene US-amerikanische Autorin – nach eigener (behaupteter) Überzeugung ein »Medium« mit übernatürlichem Gespür – hatte in ihrem Buch End of Days (2008) vorhergesagt, dass sich rund ums Jahr 2020 eine Krankheit, ähnlich einer Lungenentzündung, weltweit verbreiten und gegen bisherige Behandlungsmethoden resistent sein würde (S. 210).
Das weckt im Zuge der Coronakrise einige abergläubige Geister, die insbesondere auf den letzten Part dieser Prophezeiung hoffen: Die Krankheit würde genauso schnell verschwinden, wie sie aufgetaucht sei (womit die Maßnahmen gegen das Coronakrise – strenge Ausgangsbeschränkungen zum Beispiel – völlig unnötig und überzogen seien, was Quatsch ist; ein informatives Video zum Stand der Dinge in Sachen Coronakrise hat MaiLab am 2. April 2020 veröffentlicht).
Wie bei praktisch allen anderen Prophezeiungen von Sylvia Browne2 wird sich mit der Zeit vermutlich zeigen, dass sie auch hier daneben lag. Doch selbst wenn nicht: Wer derart viele, meist vage Vorhersagen macht, hat rein statistisch gesehen auch mal das Glück, ins Schwarze zu treffen.
Das böse Spiel der Sylvia Browne
Wie böse das Spiel mit dem Aberglauben sein kann, das zeigt der Horrorfilm Ghost Stories sehr eindrucksvoll gleich zum Auftakt: Da kommuniziert ein Mann (wieder ein »Medium«) auf einer Bühne angeblich mit dem verstorbenen Kind einer Frau aus dem Publikum. Erst durch das Eingreifen von Hauptfigur Philip Goodman wird der Mann des Betruges überführt – und die Mutter des verstorbenen Kindes bricht in Tränen der Verzweiflung aus.
Die Vorstellung, dass wir und unsere Lieben sterben, einfach aufhören, zu existieren, ist so furchtbar, dass wir bereit sind, alles zu glauben, was uns Hoffnung auf ein Jenseits gibt.
Philip Goodman
Auch Sylvia Browne hat ihr Spiel mit verzweifelten Menschen getrieben. 2002 behauptete sie gegenüber den Eltern einer verschwundenen 11-Jährigen, das Mädchen sei von einem dunkelhäutigen Hispanic mit Dreadlocks entführt worden und verstorben. Stattdessen wurde das Mädchen im Jahr 2007 lebend gefunden. Ihr Kidnapper war ein kurzhaariger Europäer. 2004 erzählte Browne der Mutter eines verschwundenen Mädchens einmal mehr, dass ihre Tochter tot sei. Zwei Jahre später starb die Mutter, ohne je zu erfahren, dass ihre Tochter tatsächlich noch lebte. 2013 wurde sie aus den Händen ihres Kidnappers befreit.
Kurzkritik zu Ghost Stories
Kehren wir der grausamen Wirklichkeit nun vorübergehend den Rücken und lassen uns auf einen schaurig-schönen Horrorfilm ein. Denn in diesem Format ist das Spiel mit Aberglauben und Paranormalem sehr gut aufgehoben – samt der reizvollen Zugabe, dass die schrecklichsten Szenarien sich hier wirklich in die (filmische) Realität schleichen und »ungläubige« Menschen heimsuchen können. Ghost Stories bietet, seinem Titel gerecht werdend, gleich mehrere Geistergeschichten, die so einige Gänsehaut-Momente mit sich bringen. Neben Andy Nyman werden die anderen ängstlichen Männer (Frauen treten in diesem Film nur als Horrorgestalten auf) unter anderem gespielt von Alex Lawther (Black Mirror) und Martin Freeman (Sherlock, The Hobbit). Kurzum: Ghost Stories ist stark besetzt und beschwört wahrhaft gruselige Geschehnisse herauf. Für Horror-Fans ein toller Film!
PS: Trotz all der abgefahrenen Schock-Momente – am meisten beeindruckt hat mich der »Frisuren-Trick« von Martin Freeman. Wer ihn gesehen hat, wird wissen, was ich meine 😄
Erklärung zum Ende von Ghost Stories · Auflösung
Achtung, Spoiler! Ghost Stories ist mehr als nur eine Ansammlung von Schauergeschichten. Die letzte bekommt Philip Goodman von einem Mann namens Mike Priddle (Martin Freeman) erzählt – bis dieser sich plötzlich erschießt. Daraufhin stürmt Goodman zurück zu seinem Auftraggeber, der ihn losgeschickt hat, die drei Fälle zu ermitteln. Keiner dieser Fälle bewiese irgendetwas Übernatürliches, erklärt Goodman. Alle drei Geschichten seien bloß hervorgebracht von den Hirnen der psychisch gestörten oder traumatisierten Männer, die sie »erlebt« zu haben glauben!
Doch dann reißt der Auftraggeber auf einmal die Haut von seinem Gesicht – und entpuppt sich als Mike Priddle. What the F-Word? Goodman kann seinen eigenen Augen nicht glauben, während Priddle die Wände einreißt und offenbart, dass der Wohnwagen, in dem sie ihr Gespräch geführt haben, bloß eine Kulisse ist. Was geht hier vor? Priddle lädt uns dazu ein, es zu erfahren. In einer Rückblende sehen wir nun ein erschütterndes Erlebnis auf Goodmans Jugend. Er fühlt sich für den Tod eines geistig-beeinträchtigen Jungen mitverantwortlich, der eigentlich Callahan hieß, aber »Kojak« genannt wurde. Wer aufmerksam war, hat diesen Namen in Ghost Stories schon einmal gehört. Goodman selbst wurde im Zuge seiner Ermittlungen (im ersten Fall) »Kojak« genannt.
Tipp: Als Literaturgrundlage zur Erläuterung des Endes von Ghost Stories verweise ich auf Hannah Shaw-Williams lesenswerten Beitrag Ghost Stories’ Ending Explained (Englisch).
Der finale Twist
Es folgt eine Reihe virtuoser Wendungen, in denen wir verschiedene Elemente aus dem Film wieder entdecken. Im finalen Twist klammert sich der modernde Leichnam von Callahan an Goodmans Körper und schiebt ihm seinen Finger zwischen die Lippen (ähnlich, wie es das gruselige Mädchen aus dem ersten Fall getan hat). Jetzt zeigt sich allerdings, dass der Finger zwischen den Lippen in Wahrheit der Schlauch einer Beatmungsmaschine ist – und dass Goodman aufgrund eines gescheiterten Suizidversuchs im Koma liegt.
Alles, was wir im Film Ghost Stories erlebt haben, geschah in Goodmans Kopf, angetrieben durch dessen Schuldgefühle infolge jener Jugendsünde. Angereichert ist der verstörende Koma-Traum mit Eindrücken aus Goodmans direkter Umgebung. Mike Priddle ist eigentlich sein Doktor. Und die ängstlichen Männer aus den ersten beiden Fällen sind ein junger Arzt und der Hausmeister. Damit ist Ghost Stories einer dieser Filme, die du dir getrost ein zweites und drittes Mal anschauen kannst. Es gibt im Verlauf der Handlung viele kleine Hinweise auf den finalen Twist.
Fußnoten
- 2003 prophezeite Browne im Live-Fernsehen, sie werde im Alter von 88 Jahren sterben.
- Eine Studie aus dem Jahr 2010 wies nach, das keine einzige bis dato von Browne formulierte Prophezeiung genauso eintraf – hier nachzulesen: Psychic Defective. Sylvia Browne’s History of Failure. Einen sehr unterhaltsamen Videobeitrag über Sylvia Browne und ähnliche ihres Schlags liefert John Oliver in Last Week Tonight (Englisch).