Mindhunter · True-Crime

Die Serie Mindhunter handelt von der Erforschung menschlicher Abgründe. Was treibt Serienmörder zu ihren Taten? Lassen sich Muster erkennen und Profile erstellen? Können Verbrechen dadurch besser aufgeklärt oder gar verhindert werden? Antworten liefern reale Fälle, Personen und Skripte, auf denen diese maßgeblich von David Fincher inszenierte True-Crime-Serie basiert. In diesem Beitrag wollen wir die Entstehung, Hintergründe und einige Themen der Serie unter die Lupe nehmen.

Handlung & Hintergrund

Virginia, 1977. Im Keller der FBI-Akademie in Quantico nimmt eine kleine Spezialeinheit die Arbeit an einem umstrittenen Projekt auf. Die FBI-Agenten Holden Ford und Bill Tench wollen verurteilte Mörder in US-Gefängnissen besuchen und sich ihre Geschichten anhören. Der Fokus liegt auf Triebtätern, die mehrfach gemordet oder dazu angestiftet haben. Männer wie David Berkowitz und Charlie Manson.

Den Begriff »Serienkiller« gibt es zu dieser Zeit im FBI noch nicht und die Kriminal-Psychologie steckt erst in ihren Anfängen. Unterstützt werden die Agenten Ford und Tench von der Psychologin Dr. Wendy Carr, die eine wissenschaftliche Vorgehensweise der Spezialeinheit gewährleisten soll. Das Ziel dieser Behavioral Science Unit ist es, die Biografien und Handlungen von Triebtätern zu analysieren, um die gesammelten Erkenntnisse auf unaufgeklärte oder zukünftige Mordfälle anwenden zu können.

Trivia: Der berüchtigte Kultführer Charlie Manson wird gespielt von Damon Herriman. Das ist derselbe Schauspieler, der Manson auch in Tarantinos Once Upon a Time in Hollywood (2019) verkörpert.

Wahre Begebenheiten

Es ist bemerkenswert und erschreckend zugleich, wie nah sich diese spannend erzählte Thriller-Serie tatsächlich an der Wirklichkeit orientiert. Mindhunter ist inspiriert von dem gleichnamigen Sachbuch (1995), das einen Einblick in die Arbeit jener echten FBI-Spezialeinheit für Serienverbrechen gibt.

Geschrieben wurde das Buch von dem FBI-Agenten John Douglas.1 Er und dessen älterer Kollege Robert Ressler dienten als Vorlage für die Figuren Ford und Tench, während die Figur Dr. Carr der renommierten Professorin Ann Wolbert Burgess nachempfunden ist, die als Pionierin in der Behandlung von Trauma- und Missbrauchsopfern gilt und heute noch am Boston College lehrt. Burgess war damals jedoch keine Psychologin, sondern eine spezialisierte Krankenpflegerin.

Krankenschwestern waren nicht sonderlich angesehen für ihr Wissen […] – sicher auch nicht im forensischen Bereich. Von diesem Standpunkt aus gesehen war ich als forensische Krankenschwester einzigartig darin, meine Fachkenntnisse in Bezug auf die Gesundheit und alle Bereiche des Gesundheitswesens in Rechtsfragen einzubringen.

Ann Wolbert Burgess im Interview

Fakt & Fiktion

Fakt: Burgess brachte die Idee hervor, das FBI solle eine systematische Recherche zum Verhalten von Triebtätern vornehmen. »Die Serie liegt richtig in ihrer Darstellung, dass ich darauf bestand, das FBI möge systematisch vorgehen – so dass sie nicht zu viel Kritik hinsichtlich der Methodologie bekämen.« So hat sich Burgess um eine einheitliche Form in der Vorgehensweise des FBI bemüht.

Fiktion: Prof. Burgess war nicht selbst in der FBI-Akademie in Quantico tätig, wie Dr. Wendy Carr. Auch ist sie nicht lesbisch, sondern mit einem Mann verheiratet und mehrfache Mutter. Ebenso ist das Familienleben des Agenten Bill Tench, der in Mindhunter einige Probleme mit seinem Adoptivsohn hat, frei erfunden.2

Entstehung & Besetzung

Als im Jahr 2009 die Schauspielerin und Filmproduzentin Charlize Theron eine Ausgabe des Buchs Mindhunter dem Filmregisseur David Fincher übergab, war das sozusagen der springende Funke – der Beginn des Serienprojekts Mindhunter. Anfangs konnte Filmemacher Fincher sich noch nicht vorstellen, eine TV-Serie zu inszenieren. Erst durch seine Erfahrungen als Regisseur und Produzent der Serie House of Cards, deren erste Staffel 2013 an den Start ging, gewann Fincher Interesse an dem Format – und an Streaming-Diensten wie Netflix.

»Als Charlize dann wieder kam und meinte: ›Hey, jetzt könnte der richtige Zeitpunkt für dieses Projekt sein‹, da konnte ich es sehen«, so Fincher (laut Rolling Stone). Theron war es auch, die Joe Penhall als Autoren vorschlug, der jetzt als »Schöpfer« (creator) der Serie gilt. Ebenfalls an der Drehbüchern beteiligt waren unter anderem Jennifer Haley (Hemlock Grove), Liz Hannah (The Post) und Carly Wray (Mad Men).

Zum Cast von Mindhunter

Der junge FBI-Agent Holden Ford wird gespielt von Jonathan Groff, bekannt aus der Serie Looking und dem Broadway-Musical Hamilton (in dem er King George III. seine markante Stimme verleiht). Groff hatte bei Fincher bereits im Casting zu The Social Network (2010) einen bleibenden Eindruck hinterlassen.3 Den erfahrene FBI-Agent Bill Tench spielt Holt McCallany, der in kleineren Rollen schon in den Fincher-Filmen Alien 3 (1992) und Fight Club (1999) zu sehen ist. Die Psychologin Dr. Carr wird verkörpert von Anna Torv, bekannt als FBI-Agentin Dunham aus der Serie Fringe (2008-13).

Ich begann, über Psychopathie und Soziopathie und all diese verschiedenen Verzerrungen einer Persönlichkeit zu lesen. Sie liegen in einem breiten Spektrum und führen nicht immer dazu, dass jemand zum Serienmörder wird. Wir alle kennen Narzissten. Sie operieren in der Welt und gehen nicht alle hinaus und töten Menschen.

Anna Torv im Interview (NY Times)

Mindhunter über Soziopathie

In Mindhunter (Staffel 1, Folge 3) bemerkt FBI-Agent Bill Tench, dass der Präsident Richard Nixon ein Soziopath gewesen sei. Sein Kollege Holden Ford fragt: »Wie kann ein Soziopath Präsident der USA werden?« Darauf antwortet die Psychologin Dr. Carr: »Die Frage ist, wie kann man Präsident der USA werden, wenn man es nicht ist?«

Erschienen ist die Episode im Herbst 2017 – im selben Monat, da das Buch The Dangerous Case of Donald Trump erschien. Darin beurteilen 27 Fachleute für psychische Gesundheit den aktuellen Präsidenten. Es dürfte kaum verwundern, dass diese Fachleute hinreichend soziopathische Merkmale bei Trump nachweisen, um sagen zu können: Amerika wird auch im Jahr 2020 (und in der Coronakrise) noch von einem psychisch gestörten Mann regiert.

Zwar besagt die Goldwater-Regel, dass es unethisch für Psychiater*innen sei, eine professionelle Meinung über Personen des öffentlichen Lebens abzugeben, solange sie diese nicht persönlich untersuchen konnten. Doch angesichts der etlichen Auftritte und Interviews der vergangenen Jahre, Trumps Anrufen ins Frühstücks-Fernsehen und seinen tausenden Tweets, von denen viele mitten in der Nacht wohl direkt aus seinem Schlafzimmer abgeschickt wurden (wenn nicht vom Klo) lassen vermuten, dass Trumps »private Seite« das Bild vom Soziopathen kaum gerade rücken würde.

Mindhunter über Philosophie

In Mindhunter (Staffel 2, Folge 3) betrachtet FBI-Agent Smith (Joe Tuttle) einen Mordfall von der »essentialistischen Perspektive«. Er erläutert sie wie folgt: »Aristoteles sagte, dass alle Dinge eine Substanz oder Essenz haben, die sie zu dem macht, was sie sind. Auch Platon sagte, dass Gruppen durch eine essenzielle Eigenschaft verbunden sind.« In diesem Fall spricht Smith von einem Mörder und dessen Opfer, deren verbindende Eigenschaft ihre Uniform sei: beide waren beim Militär. Diese Eigenschaft ist dahingehend als notwendig zu verstehen, dass die gemeinten Menschen ohne diese Verbindung eben nicht das wären, was sie nun sind: Mörder und Opfer.

Hate-watching Mindhunter

Die Autorin und Bloggerin Olivia A. Cole beschreibt ihre Seh-Erfahrung der ersten Staffel von Mindhunter als »hate-watching«, weil der Fokus mal wieder auf weißen, männlichen Protagonisten liegt.

Die Chancen für einen beruflichen Aufstieg (der Hauptfigur Holden Ford) fallen ihm in den Schoß, und die »Entdeckungen«, die er macht, sind zufällig und in der Regel das Ergebnis des Inputs von Frauen, die weitaus intelligenter sind als er, darunter seine Doktorandinnen-Freundin Debbie Mitford (Hannah Gross) und seine Kollegin Dr. Wendy Carr (Anna Torv), die, obwohl sie die klügsten nicht-kriminellen Charaktere in der Serie sind, irgendwie am Rande einer ansonsten rein weißen, rein männlichen Geschichte bleiben.

Olivia A. Cole (bitchmedia)4

Die zweite Staffel von Mindhunter räumt der Figur Wendy Carr wohlgemerkt mehr als nur ein Rand-Dasein ein. Auch rückt mit den Kindermorden von Atlanta (1979-1981) ein Fall in den Fokus der Serie, der Mindhunter zu mehr als einer »rein weißen, rein männlichen Geschichte« macht. Zum aktuellen Stand in Sachen Diversität bei Netflix schreibt Hernán D. Caro (FAZ) im Artikel Sehen und gesehen werden (01.04.20).

Fazit und Ausblick

Regisseur und Produzent David Fincher verleiht Mindhunter ganz und gar seinen über viele Filme etablierten Stil. Die Serie kommt im Look and Feel eines Kinofilms daher und bietet Schauspiel-Performances und einen Soundtrack, die unter die Haut gehen. Wer Finchers Krimidrama Zodiac – Die Spur des Killers (2007) mag, wird Mindhunter sicher lieben.

Anders als etwa in Finchers Thriller Sieben (1995) werden die Killer in Mindhunter nicht als kriminelle Masterminds mystifiziert. So erschreckend die Morde, so erbärmlich sind die Täter. Mindhunter zeigt die inhaftierten Männer als selbstherrliche oder -mitleidige, gescheiterte Existenzen, die dem Leben nicht gewachsen waren. Die größte Faszination an der Serie Mindhunter geht weniger von den Begegnungen hinter Gittern aus, als von den Hürden und Tiefen in der nervenaufreibenden Ermittlungsarbeit – mit den technischen Mitteln der 70er und frühen 80er Jahre.

News zu Staffel 3

Anfang 2020 machte die Nachricht die Runde, dass Mindhunter vorerst nicht fortgesetzt wird. Die Hauptdarsteller wurden laut Deadline vorerst aus ihren Verträgen entlassen. Der Grund sagt jedoch nichts über die Zukunft der Serie aus, sondern ist ganz pragmatischer Natur: Mr. Fincher hat gerade keine Zeit. »David ist gerade fokussiert darauf, mit Mank seinen ersten Netflix-Film zu inszenieren sowie die zweite Staffel von Love, Death and Robots zu produzieren«, teilte der Streamingdienst mit. Daher ist es nur fair, den Cast zwischendurch vom Projekt zu entbinden, um sich ihrerseits anderen Projekten zu widmen. So ist der Schauspieler Jonathan Groff laut Collider demnächst in Matrix 4 zu sehen.

Fußnoten

  1. Douglas diente bereits dem Schriftsteller Thomas Harris als Inspiration für die Romanfigur Jack Crawford aus Roter Drache (1981) und Das Schweigen der Lämmer (1988). Doch deren Verfilmungen findet er arg daneben, was die Darstellung seiner Arbeit angeht. Die Serie Mindhunter hingegen sei so akkurat, »als würde ich mein Leben noch einmal erleben.« (NY Post)
  2. Vgl. Emily Moon: Meet the female forensic researcher behind Netflix’s Mindhunter.
  3. Vgl. David Fear: Inside David Fincher’s Creepy Serial-Killer TV Procedural.
  4. Aus dem Englischen übersetzt mithilfe des DeepL-Translators.

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