Die Serie The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd handelt von einem grausamen Gottesstaat mitten in der westlichen Welt. Obwohl sie auf einem Roman basiert, der bereits 1985 erschienen ist, wirkt die Geschichte gerade heute unheimlich aktuell. Geschrieben hat sie die preisgekrönte kanadische Science-Fiction-Autorin Margaret Atwood. Was hat sie inspiriert? Könnte das von ihr entworfene Schreckens-Szenario wirklich passieren? Und wie gut ist die Serie zum Buch? Mehr dazu in diesem Beitrag.
The Handmaid’s Tale · Inhalt
Eines Tages in naher Zukunft reißen christliche Fundamentalisten in den USA die Macht an sich. Bei einem Putsch ermorden sie den Präsidenten samt Kongress und rufen die Republik Gilead aus, einen totalitären Gottesstaat. Was zuvor geschah: Die Geburtenrate ist über Jahre zurückgegangen. Durch radioaktive Strahlung und Umwelt-Vergiftung sind die meisten Menschen unfruchtbar geworden. Religiöse Stimmen sprachen von einer Plage der Unfruchtbarkeit. Sie schimpften über die Frauen, die trotz Fruchtbarkeit andere Prioritäten im Leben hatten, als Kinder zu zeugen.
Damit ist es nun vorbei. Die wenigen Frauen, die noch fruchtbar sind, müssen im Staate Gilead als sogenannte Mägde (handmaids) dienen. Sie werden Regime-treuen, wohlhabenden Ehepaaren zugeteilt, die selbst keinen Nachwuchs bekommen können. Stattdessen sollen die Mägde für sie Kinder gebären. Und zwar infolge von monatlich gefeierten Zeremonien, in denen jede Magd vom jeweiligen Herrn des Hauses ritualisiert vergewaltigt wird.
The Handmaid’s Tale · Buch
The Handmaid’s Tale steht in der Tradition von Werken wie Adlous Huxleys Brave New World (1932), Georg Orwells 1984 (1949) und Ray Bradburys Fahrenheit 451 (1953). Das sind die drei wohl bekanntesten Klassiker dystopischer Science Fiction des 20. Jahrhunderts, die Atwood (*1939) als Jugendliche gelesen hat. Und »wenn du von einer literarischen Form einmal fasziniert bist, hast zu immer die geheime Sehnsucht, selbst einen Beitrag dazu zu leisten«, erinnert sich die Schriftstellerin.
Geschichten über die Zukunft haben immer eine Was-wäre-wenn-Prämisse, und »The Handmaid’s Tale« hat mehrere. Zum Beispiel: Wenn du in den Vereinigten Staaten die Macht ergreifen, die liberale Demokratie abschaffen und eine Diktatur errichten wolltest, wie würdest du vorgehen? Und was wäre deine cover story? Es würde keine Ähnlichkeit mit irgendeiner Form von Kommunismus oder Sozialismus haben, das wäre zu unpopulär.
Margaret Atwood1
Zeit des sozialen Chaos
Ein Sozialismus etwa, wie ihn sich die DDR auf die Fahne schrieb. Als Atwood ihre Arbeit am Roman The Handmaid’s Tale begann – ausgerechnet im Orwell-Jahr 1984 – da wohnte sie gerade in West-Berlin. Zu der Zeit war es noch eingeschlossen von der Mauer. Dahinter lebten viele Millionen Menschen unter einem diktatorischen Regime.
Nationen bauen nie offensichtlich radikale Regierungsformen auf ein Fundament auf, das nicht bereits vorhanden ist […]. Das tiefe Fundament der USA sind nicht die Aufklärungs-Strukturen der Republik im 18. Jahrhundert mit ihrer Rede von Gleichheit und der Trennung von Kirche und Staat, sondern die Theokratie des puritanischen Neuenglands des 17. Jahrhunderts (mit ihrer starken Voreingenommenheit gegenüber Frauen), die nur die Gelegenheit einer Zeit des sozialen Chaos bräuchte, um sich wieder durchzusetzen.
Margaret Atwood
Eine Zeit des sozialen Chaos, ganz so fühlt sich unsere Gegenwart an. Doch das gilt wohl für jede Gegenwart. Als The Handmaid’s Tale erstmals verfilmt wurde, 1990 vom Regisseur Volker Schlöndorff, beschrieb ein Spiegel-Filmkritiker das Werk als schneidende Satire auf die Gegenwart. Die Erstveröffentlichung der erneuten Verfilmung des Stoffes, dieses Mal als Serie, fiel ins erste Amtsjahr von Trump und seinem Vize Mike Pence. Kein Wunder, dass The Handmaid’s Tale also (mal wieder) einen Nerv trifft.
»Christ« an erster Stelle
Mike Pence ist ein prominentes Gesicht der religiösen Rechten in den USA 🇺🇸 und »Christ, Konservativer und Republikaner – in dieser Reihenfolge«, sowie stolzes Mitglied der Waffenlobby NRA.2 In seiner politischen Karriere hat er fleißig zur Einschränkung der Rechte von Frauen3 und Homosexuellen4 beitragen. Noch im Januar 2020 hielt er eine Rede in demselben Gottesdienst, in dem ein Bischof von Homosexualität als Werk »des Teufels« sprach. Mike Pence ist spricht von einem göttlichen »Plan« – und Schwulsein passt da nicht rein.
Wie viel religiöse Überzeugung da im Spiel ist, und wie viel politisches Kalkül, keine Ahnung. Als enger Verbündeter eines Mannes, der seine Ehefrau mit einem Porno-Star betrügt und darüber prahlt, Frauen »by the pussy« zu begrapschen, ohne (Reichtum sei dank) Konsequenzen fürchten zu müssen – als Verbündeter eines solchen Mannes ist Pence an allererster Stelle nicht »Christ«, sondern ein Scheinheiliger. Es erstaunt jedenfalls kaum, dass auf LGBT-Protesten gegen Pence zuweilen die markanten Magd-Kostüme aus der Serie The Handmaid’s Tale getragen werden. (Homosexuelle werden in Gilead wegen »Geschlechtsverrat« verfolgt.)
Historische Vorbilder
Atwood hat eine Regel befolgt, als sie The Handmaid’s Tale schrieb. Sie wollte nichts in ihre Geschichte einbringen, was sich irgendwo, irgendwann einmal in der Geschichte zugetragen habe. Die Kleidung nach bestimmten Kasten, die Gruppen-Exekutionen und Vergewaltigungen, vom Regime gestohlene Kinder, der Verbot von Besitz oder dem bloßen Lesen von Büchern – all das hat es ja tatsächlich gegeben.
Historische Beispiele seien nicht allein in anderen Kulturen zu finden, sondern im Westen und dessen »christlicher« Tradition selbst. (Atwood setzt »christlich« in Anführungszeichen. Ein Großteil des Verhaltens und der Doktrinen der Kirche in ihrer langjährigen Existenz als Organisation wäre »der Person, nach der sie benannt ist, abscheulich erschienen«).
Wenn ab Staffel 2 die Geschichte über Gilead über die Roman-Vorlage hinaus weitergesponnen wird, halten die Drehbuch-Autor*innen offenbar an der Regel von Atwood fest. Dass etwa Menschen in Schwimmbädern durch Ertränken hingerichtet werden (wie in Folge 12 von Staffel 2), war erst vor wenigen Jahren eine von vielen grauenvollen Nachrichten aus dem »Islamischen Staat« besetzten Gebiet. Weit mehr als an diese Terror-Organisation erinnern viele Bilder und Kulissen aus The Handmaid’s Tale jedoch an Nazi-Deutschland und den Holocaust.
Das Worst-Case-Szenario
Bei all der Orientierung an realen Vorbildern, wie wahrscheinlich ist es, dass ein Gottesstaat wie Gilead in den USA zeitnah Wirklichkeit wird? Wenn es darum geht, Frauen zum Gebären von Kindern zu zwingen, indem ihnen Möglichkeiten zum Abbruch einer Schwangerschaft verweigert werden, dann sind die Bestrebungen zu strikten Gesetzen in den USA bereits sehr real. Doch damit sieht die Reporterin Cathy Young (The Atlantic) das Worst-Case-Szenario bereits erschöpft.
Als Pro-Choice-Feministin bedauere ich den jüngsten Vorstoß, die reproduktive Freiheit der Frauen einzuschränken. Aber ist dies ein Schritt hin zu einer Gesellschaft, die fast alle Frauen von außerhäuslichen Aktivitäten ausschließt und erzwungene Leihmutterschaft durch monatliche Vergewaltigungen praktiziert? Nein.
Cathy Young
Es ist erwähnenswert, dass Polen und Irland bis zum vergangenen Jahr (2018) ein fast vollständiges Abtreibungsverbot hatten. Bis jetzt haben beide Länder, weit entfernt von den Schrecken Gileads, auf dem Index der Vereinten Nationen für geschlechtsspezifische Ungleichheit stets einen höheren Rang als die USA eingenommen. (Beide hatten auch mehrere weibliche Führungs-Persönlichkeiten).
Tipp: Mehr Nähe zwischen Fiktion und Realität stellt die Reporterin Anne Haeming (Spiegel) fest, siehe: Plötzlich ist die Welt eine andere
The Handmaid’s Tale · Kritik
Auch wenn eine Art »christliches Kalifat« in der westlichen Welt derzeit wenig wahrscheinlich erscheint, so ist die Idee doch durchaus glaubwürdig erzählt. Die Serie The Handmaid’s Tale gibt allein durch ihre Länge von bisher drei Staffeln einen weitaus tieferen Einblick in die Republik Gilead, ihre Gebräuche und ihre führenden Köpfe. Das erstklassige Schauspiel, angeführt von Elisabeth »Badass« Moss als Magd, sowie eine detailverliebte Ausstattung und starke Kameraarbeit verleihen der Dystopie einen schaurig realistischen Anstrich.
Gekreuzt werden nicht nur grauenhafte Szenen mit wunderschönen Bildern, sondern auch eine graue, entsättigte Welt mit flotter, poppiger Musik, was immer wieder für starke Momente sorgt. Besonders hervorzuheben. Der kreative Einsatz des 80er-Jahre-Songs Heaven Is a Place on Earth in Folge 9 von Staffel 3. Alles in allem ist die Serie The Handmaid’s Tale vollgepackt mit Figuren und Szenen, die nicht nur bestens unterhalten, sondern auch das Gemüt aufregen und die Gedanken anregen. Sehr sehenswert!
Ausblick · Staffel 4
Im Juli 2019 wurde via Twitter verkündet, dass es eine vierte Staffel geben wird. Doch im März 2020 teilte Elisabeth Moss via Instagram mit, dass die Produktion dieser Staffel vorerst eingestellt werden musste. Der Grund war die Coronakrise. Immerhin: Inzwischen ist bekannt, dass Staffel 4 von The Handmaid’s Tale insgesamt zehn Folgen umfassen soll (wie die erste Staffel).
Fußnoten
- Vgl. Atwood on How She Came to Write The Handmaid’s Tale (Literary Hub)
- Siehe: Tweet des Vize-Präsidenten Mike Pence vom 4. Mai 2018.
- Eine gute Zusammenfassung liefert die Washington Post.
- Zusammenfassung im Business Insider.