Was sind deine Stärken?

In diesem Beitrag geht es um die Frage: Was sind deine Stärken? Das Erkennen der persönlichen Stärken ist, nach dem Ermitteln der eigenen Werte, ein Zwischenschritt hin zu den Zielen. Bevor wir uns einer Methode widmen, die eigenen Stärken zu erkennen sind, gibt’s vorweg noch einmal eine kurze Orientierung. | Lesezeit: 8 Min.

Der Handlungsrahmen

Zuvor haben wir also geklärt, was Werte sind – insbesondere persönliche und soziale Werte. Dazu zogen wir im Raum unendlicher Möglichkeiten einen Handlungsrahmen auf, in dem wir uns vernünftigerweise bewegen sollten. Diesen Rahmen bilden die Werte Ehrlichkeit und Fairness. Als ehrliche und faire Menschen können wir uns guten Gewissens die Freiheit nehmen, im gegebenen Rahmen mit individuellen Prioritäten – also den Werten, die uns persönlich wichtig sind – eine eigene Vision auszumalen.

Nun sind viele Menschen zufrieden damit, das unbemalte Bild unserer grundlegenden Werte an die Wand zu hängen, niemandem Böses zu tun und einfach das Leben zu genießen solange es eben dauert. Diese Menschen waren ganz am Anfang gemeint, als ich mich im Beitrag über Die vier Säulen der Lebensbalance korrigiert habe: Nicht jeder Mensch muss die Fragen nach den Werten, Stärken und Zielen für sich selbst beantworten. Wer mit Werten allein schon zufrieden ist: Prima! Wir sind dann hier fertig.

Die Vision ausmalen

Manche Menschen sind aber nicht ganz so genügsam, wollen nicht nur sein, sondern werden, wollen nach etwas streben, wollen das Bild weiter ausmalen, bildlich gesprochen. Diese Menschen suchen Ziele im Leben. Bevor wir uns daran machen, im gegebenen Rahmen (den Grundwerten) mit den gegebenen Farben (sozialen, persönlichen Werten) eine eigene Vision zu malen (also unseren Zielen Ausdruck zu verleihen), ist es sinnvoll, zu schauen, welche Mittel sich für uns eignen, mögliche Ziele dann auch zu erreichen. Denn vielleicht liegt es dir schon auf der Zunge: »Ich kann ja gar nicht malen!« Es geht hier nicht ums Malen, es geht um deine Stärken! Und wenn Rumheulen eine davon ist, dann weißt du jetzt auch, warum wir nach dem Plural suchen – denn Rumheulen alleine bringt ja nicht weiter.

Schwächen vs. Stärken

Definition: Mit Stärken sind bestimmte Fähigkeiten gemeint. Davon haben alle Menschen an sich erstmal unwahrscheinlich viele, aber sie sind kunterbunt verteilt und unterschiedlich stark ausgebildet.

Anpassungsfähigkeit zum Beispiel, also spontan und aus dem Bauch heraus zu reagieren und zu reden, die ist bei mir persönlich nicht stark ausgebildet. Darum mach’ ich keinen Livestream auf YouTube, sondern nur Videos, in denen ich in aller Ruhe meine Skripte vortragen kann. Natürlich könnte ich versuchen, Livestreams zu machen, aber solange sich bei dem Gedanken alles in mir sträubt, würde ich da als nervös-zittriger Zauderklaus im Endeffekt meine Energie verschleißen. Ganz einfach, weil ich gegen meine Schwächen ankämpfen, anstatt meine Stärken nutzen würde.

Apropos: Hier ist dieser Beitrag als Video verfügbar.

Es ist absurd, wie häufig wir das tun, auch weil es oft von uns erwartet wird: Schwächen überwinden. So viele Stunden werden an Mathe-Nachhilfe oder Tanzkurse verschwendet, ehe sich Eltern oder Paare eingestehen: Dieser Mensch hat’s nicht mit dem Rechnen – oder Rhythmusgefühl.

Talente nicht wertgeschätzt

Der bis dato meist gesehene TED-Talk handelt im Endeffekt genau davon: Stärken oder Talente erkennen und fördern. Ein Zitat daraus:

Das gesamte System der öffentlichen Bildung weltweit ist ein in die Länge gezogener Prozess der Eintrittsprüfung in die Universität. Daher denken viele hochtalentierte, brillante, kreative Menschen, dass sie es nicht sind, weil ihr Talent in der Schule nicht wertgeschätzt […] wurde. 

Ken Robinson

Wie gesagt: Rumheulen bringt nichts. Ob du noch in der Schule bist oder sie hinter dir hast: Gib’ dem System allein nicht die Schuld dafür, dass deine Stärken nicht zum Zug kommen, oder du deine Stärken gar nicht kennst. Dafür kannst du mir die Schuld geben, wenn ich hier fertig bin. Aber bedenke: Nur weil du auf die Schuldfrage eine Antwort gefunden hast, heißt das nicht, dass es auf die Stärkenfrage keine Antwort gibt. Christlich gesprochen: Du kannst den Osterhasen grillen, aber lass nicht die Eier in ihren Verstecken verrotten. (Na ja, christlich…)

Stärken erkennen · Übung

Das Schöne an der Beschäftigung mit den eigenen Stärken ist, dass es viel mehr Spaß macht und Motivation bringt, als der Kampf gegen die Schwächen. Das Schwierige an der Beschäftigung mit den eigenen Stärken ist, sie zu finden oder zu erkennen. Du kannst natürlich Bekannte und Verwandte fragen, auf dass sie dir mal ehrlich sagen, wo sie deine Stärken sehen. Alternativ kannst du dich aber auch selbst was fragen, und zwar zweierlei:

Zwei Fragen

Erstens: Was machst du gut? Oft sind es Dinge, über die du kaum nachdenkst, die dir im Vergleich zu anderen leichtfallen. Versuche mal, dir solcher Dinge bewusst zu werden. Wenn du noch in der Schule bist, hilft schon ein Blick aufs Zeugnis. Du hast eine Eins in Mathe? Dann solltest du daraus folgern können, dass analytisches Denken zumindest eine deiner Stärken ist. 

Zweitens: Was machst du gern? Mit dem, was du gern machst, bildest du automatisch deine Stärken weiter aus. Oder andersherum: Wenn du etwas nicht gern machst, wirst du darin nur schwerlich Stärken entwickeln. Nun findet sich bestimmt ein Neunmalklug mit der Meinung, oder auch Erfahrung: »Klar kann ich in etwas gut werden, das ich hasse!« Ja sicher, ich hoffe nur, du machst die Sache nicht bloß machst, um so Jockeln wie mir zu beweisen, dass sie falsch liegen können – denn das wissen so Jockel wie ich sehr gut und, na ja, the joke is on you.

Voraussetzung: tätig sein

Die Frage, was du gern machst, scheint nicht immer gleich auf deine Stärken hinauszulaufen. Wenn das, was du gern machst, zum Beispiel Netflixen ist, am liebsten 24/7 mit Pizza im Bett, tja, was dann? Ehrlich gesagt würde ich diese Antwort nicht gelten lassen. Binge-watchen an sich hat so viel mit »Machen« zu tun, wie ein Serienmarathon mit einem Marathon. Mit »Machen« ist hier eine aktive Tätigkeit, kein passives Sich-Berieseln lassen. Insofern spielt Zocken in einer ganz anderen Liga als Bingen: Denn Gaming an sich hat durchaus was mit »Machen« zu tun, mit agieren, interagieren – davon lässt sich ganz leicht auf mögliche Stärken schließen. Strategisches Denken zum Beispiel, oder Reaktionsfähigkeit.

Also nochmal: Was machst du gern? Mit Blick auf die zugrundeliegende Absicht. Wenn du gern Netflix schaust, um Filmkritiken zu schreiben, zeugt das von einem Faible für hermeneutisches Denken, also dem Deuten und Interpretieren von Bildern und Geschichten. Eine Stärke (Intellekt), die du auf vieles andere anwenden kannst. Wenn du gern Serien schaust, um mitreden zu können, liegen deine Stärken womöglich in der Kommunikation oder Vernetzung. Wenn du was auch immer nur schaust, um rum zu gammeln, dann wird’s schon schwieriger. Vielleicht ist deine Stärke das Stillhalten und dir ist ’ne Karriere als Modell in die Wiege gelegt. Einfach mal den Bildschirm durch einen Spiegel ersetzen, hin und wieder die Position wechseln und na ja, dein Potential abschätzen…

Übrigens: Über den Zusammenhang zwischen persönlichen Stärken und mentaler Gesundheit findest du hier einen spannenden Beitrag von Philip Hegel.

Stärken erkennen in zwei Schritten

In jedem Fall, hier eine Methode zum Erkennen deiner Stärken.

Schritt 1: Ableiten. Leite aus den Tätigkeiten (activities), die du gut und/oder gerne machst, die Fähigkeiten (skills) ab, die diesen Tätigkeiten zugrunde liegen, und die möglicherweise deine Stärken (strengths) enthalten. Unten gibt’s eine Liste mit möglichen Stärken im Überblick, zur Anregung.

Schritt 2: Loslegen. Lege deinen Fokus auf diejenigen Fähigkeiten, die du bewusst zu Stärken ausbilden willst. Das kannst du tun, indem du die Tätigkeiten, die dir leichtfallen bzw. die du gern machst, fortan bewusster machst. Oder indem du etwas Neues ausprobierst, bei dem eben die Fähigkeiten auch zum Einsatz kommen, die bereits in deinem Handlungsspielraum liegen.

Weitere Tipps zum Thema »Stärken entdecken« gibt’s in einem hilfreichen Video  von der Glücksdetektivin Katharina Tempel. Sich zunächst klar darüber zu werden, worin die eigenen Stärken liegen, um sich dann erst Ziele zu stecken, erhöht die Chancen, diese Ziele auch zu erreichen – und das trägt, ganz nebenbei, auch zum Selbstwertgefühl bei. Kommen wir damit zur nächsten und letzten Frage in dieser Reihe: Was sind deine Ziele? Doch bevor du dich diesem Beitrag widmest, mach’ deine Hausaufgaben und beantworte für dich die Fragen nach deinen Werten und Stärken.

Beispiele für Stärken · Liste

Nachfolgend ein Katalog von 20 Stärken. Diese Auswahl beansprucht natürlich keine Vollständigkeit, sondern versteht sich als kleine Sammlung von Beispielen. Zu den Begriffen: Stärken (strength) sind hier definiert als besonders ausgeprägte Fähigkeiten (skills), als Grundlage menschlicher Tätigkeiten (activities).

Fähigkeit · Stärke

  • Analyse · Ich bin besonders fähig, analytisch zu denken.
  • Anpassung · Ich bin besonders fähig, flexibel auf Neues zu reagieren.
  • Ausdauer · Ich bin besonders fähig, lange durchzuhalten.
  • Autorität · Ich bin besonders fähig, andere zu führen.
  • Charisma · Ich bin besonders fähig, andere zu begeistern.
  • Empathie · Ich bin besonders fähig, mich in Situationen einzufühlen.
  • Euphorie · Ich bin besonders fähig, mich selbst zu begeistern.
  • Fantasie · Ich bin besonders fähig, meine Vorstellungskraft zu nutzen.
  • Integration · Ich bin besonders fähig, Methoden und Menschen zu integrieren.
  • Intellekt · Ich bin besonders fähig, hermeneutisch zu denken.
  • Kommunikation · Ich bin besonders fähig, Konversationen zu führen.
  • Kooperation · Ich bin besonders fähig, im Team zu arbeiten.
  • Kraft · Ich bin besonders fähig, meine Körperkraft einzusetzen.
  • Kuration · Ich bin besonders fähig, Dinge zu bewahren und erhalten.
  • Organisation · Ich bin besonders fähig, Dinge zu organisieren.
  • Reaktion · Ich bin besonders fähig, schnell und gezielt zu reagieren.
  • Recherche · Ich bin besonders fähig, Infos zu recherchieren und sammeln.
  • Strategie · Ich bin besonders fähig, strategisch zu denken.
  • Verantwortung · Ich bin besonders fähig, Verantwortung zu übernehmen.
  • Vernetzung · Ich bin besonders fähig, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.

1 Gedanke zu „Was sind deine Stärken?“

  1. „Voraussetzung: tätig sein“ … Das ist aus meiner Sicht ein ganz entscheidender Punkt! Zum einen entlarvt er den oft schädlichen, weil lähmenden Mythos von den verborgenen Stärken. Aber noch viel wichtiger zeigt er den Weg, die eigenen Stärken (und übrigens auch die anderer) erkennen zu können. Denn wie Du schreibst, zeigen sich Stärken immer in einem konkreten Tun. Und das ist für mich der zweite Kernpunkt des Beitrags: Es geht um aktive Tätigkeit, wenn man seinen Stärken auf die Spur kommen will.

    Vielen Dank für diese sehr klare und hilfreiche Darstellung!

    Antworten

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