Kants vier Grundfragen

Wenn es um existenzielle Fragen der eigenen Lebensführung geht, lohnt sich eine Auseinandersetzung mit den Grundfragen der Philosophie. Die hat niemand Geringeres als Immanuel Kant in seltener Einfachheit und Klarheit formuliert. In diesem Beitrag behandeln wir Kants vier Fragen. Wo stehen sie geschrieben? Was sollen sie bedeuten? Wie können wir sie beantworten?

4 Grundfragen der Philosophie

Die berühmten vier Fragen von Immanuel Kant lauten wie folgt:

  • Was kann ich wissen?
  • Was soll ich tun?
  • Was darf ich hoffen?
  • Was ist der Mensch?

Quelle von Kants vier Fragen

Die ersten drei von Kants vier Fragen finden sich bereits in seiner Kritik der reinen Vernunft, erschienen in zwei Originalauflagen von 1781 (A) und 1787 (B) – u. a. hier erhältlich. Genauer unter: II. Transzendentale Methodenlehre, 2. Hauptstück. Der Kanon der reinen Vernunft, 2. Abschnitt. Von dem Ideal des höchsten Guts, als einem Bestimmungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vernunft (kurz: KrV, A 805/B 833). Dort schreibt Kant:

Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl, als das praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?

Ausführlicher nachzulesen via zeno.org

Doch bereits seit 1765 hielt Kant regelmäßig Vorlesungen über Logik, deren Herausgabe in Form eines Handbuchs 1800 erfolgt, durch Gottlob Benjamin Jäsche. Dieser Text liegt auch dem neunten Band der Akademie-Ausgabe zugrunde.

Kants vier Fragen finden sich im neunten Band dieser Ausgabe, erschienen bei Walter de Gruyter im Jahr 1968 – u. a. hier erhältlich. Genauer unter: III. Begriff von der Philosophie überhaupt, S. 21 ff. (kurz: Log, AA 9, 25). Dort schreibt Kant:

Das Feld der Philosophie […] lässt sich auf folgende Fragen bringen: 1) Was kann ich wissen? 2) Was soll ich thun? 3) Was darf ich hoffen? 4) Was ist der Mensch?

Ausführlicher nachzulesen im Bonner Kant-Korpus

Eine dritte Stelle, die als Quelle zu nennen wäre, ist ein Brief vom 4. Mai 1793 an den Göttinger Theologie-Professor Carl Friedrich Stäudlin. Anlass ist die Übersendung der Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Auch in diesem Brief zählt Kant nochmal seine vier Fragen auf (siehe: RGV, AA 11, 429).

Kants vier Fragen im Detail

Was kann ich wissen?

Die erste Frage beantworte, so Kant, die Metaphysik. In seiner Kritik der reinen Vernunft fügt er hinzu, diese erste Frage sei »bloß spekulativ« und »alle mögliche Beantwortungen derselben erschöpft, und endlich diejenige [Antwort] gefunden, mit welcher sich die Vernunft […] befriedigen muß«. In Bezug auf das Wissen sei nämlich »wenigstens so viel sicher und ausgemacht, daß uns dieses […] niemals zu Teil werden könne.«

Heute würden wir die Frage Was kann ich wissen? weniger der Metaphysik, als vielmehr der Erkenntnistheorie zuordnen, als Teil der theoretischen Philosophie. Tiefergehende Fragen wären hier: Was sind Wahrheit und Wirklichkeit? Ist sichere Erkenntnis überhaupt möglich? Mit welchen Methoden gelange ich zu Erkenntnis? Welche Grenzen sind dem menschlichen Erkenntnisvermögen gesetzt? Was kann Wissenschaft demnach leisten?

Was soll ich tun?

Die zweite Frage beantworte die Moral, so Kant, und sei »bloß praktisch«. Heute würden wir sie eher der Moralwissenschaft, also der Ethik zuordnen, als Teil der praktischen, handlungsorientierten Philosophie.

Gesucht sind hier keine konkreten Bedienungsanleitungen à la: Was soll ich tun, um dieses Regal aufzubauen? Gesucht sind vielmehr prinzipielle Grundsätze – wie Kants kategorischer Imperativ. Tiefergehende Fragen wären: Was ist gut, was ist böse? Wie kann ich mein Handeln begründen? Gibt es überhaupt einen freien Willen oder ist ohnehin alles vorbestimmt?


Während sich die erste Frage eindeutig der Erkenntnistheorie (und Kants Kritik der reinen Vernunft) zuordnen lässt, und die zweite Frage der Moralphilosophie (Kants Kritik der praktischen Vernunft), erweist sich die Zuordnung der dritten Frage als schwieriger.

Was darf ich hoffen?

Kant selbst schreibt die dritte Frage der Religion zu. Er fragt wohlgemerkt nicht: Was hoffe ich? Denn die Antwort darauf liegt nahe. Alles Hoffen ziele »auf Glückseligkeit«, wie Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft schreibt. Die Frage Was darf ich hoffen? versteht sich als: Was darf ich berechtigterweise hoffen?

Wenn Glück das ist, worauf ich hoffe, woher nehme ich das Recht, auf mein Glück zu hoffen? Kant zufolge rührt dieses Recht aufs Hoffen nicht bloß von der Befolgung legitimer Normen her. Das heißt: Es geht nicht nur darum, sich an die geltenden Gesetze meines Staates zu halten (die Gesetzmäßigkeit wird auch Legalität genannt).

Ebenso sei ein Einhalten persönlicher Pflichten wichtig, also eine innere Haltung, die meinem Handeln den sittlich richtigen Weg weist (die moralische Haltung oder Sittlichkeit wird auch Moralität genannt). Hoffen darf ich also überhaupt nur, wenn ich bereit bin, mich an geltende Gesetze und moralische Gebote zu halten.

Kant spitzt das Problem auf folgendes Begriffspaar zu: Werde ich dann, wenn ich mich als glückswürdig erwiesen habe, auch glückselig werden? Eine ausführlichere Fassung der dritten Frage lautet demnach: Wenn ich immer so handele, wie ich soll, nämlich moralisch, darf ich dann hoffen, glücklich zu werden?

Keine Antworten, aber hohes Niveau

Diese Umformulierung stammt von dem Philosophie-Professor Christian Thies, der die These aufstellt, dass Kant die dritte Frage – Was darf ich hoffen? – vor allem in seiner Kritik der Urteilskraft behandelt. (Siehe: Christian Thies: Was darf ich hoffen? Kants »dritte Frage« in seiner dritten Kritik. In: Was ist uns was sein soll. Natur und Freiheit bei Immanuel Kant. Hg. v. Udo Kern. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2007. DOI: https://doi.org/10.1515/9783110192261)

Thies befasst sich auch mit Kants eigenen Versuchen einer Beantwortung der dritten Frage.

Zwar kommt er letztendlich zu dem Schluss, dass keine der Antworten vollends überzeugen könne. Gleichsam stellt Thies aber fest, dass es »in der Philosophie der letzten beiden Jahrhunderte keinen vergleichbaren Versuch gebe, [die] Grundfragen menschlichen Lebens auf demselben Niveau zu erörtern.

Was ist der Mensch?

Die letzte Frage, Was ist der Mensch?, bildet eine übergeordnete, eine zusammenfassende Frage. Kant ordnet sie der Anthropologie zu, also der Lehre vom Menschen. (Der griechische Ausdruck anthropos bedeutet: Mensch. Zum Nachschlagen griechischer Begriffe gibt’s das Griechisch-Deutsche Schul- und Handwörterbuch Gemoll hier als Online-Version.)

Er bemerkt jedoch, dass sich im Grunde »alles dieses« (also die Metaphysik, die Moral und die Religion) »zur Anthropologie rechnen [ließe], weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen«.

Heute bildet die Frage Was ist der Mensch? den Ausgangspunkt für die sogenannte philosophische Anthropologie, die den Menschen in allgemeiner Hinsicht, als »Mensch an sich« behandelt – und nicht als vornehmlich biologisches, kulturelles oder religiöses Wesen, wie es andere Ausrichtungen der Anthropologie tun. Tiefergehende Fragen wären: Was genau macht den Menschen aus? Was ist der Unterschied zwischen Mensch und Tier? Hier geht’s zu einem eigenen Beitrag über die philosophische Anthropologie.

Kants vier Fragen – und Antworten?

Du suchst nach Antworten zu Kants vier Fragen – und vielleicht gar all den weiteren Fragen, die sich daraus ableiten lassen?

Nun, erstens konnte Kant, wie angedeutet wurde, selbst keine letztgültigen Antworten geben.

Zweitens liegt gerade darin ja das Wesen aller Grundfragen der Philosophie: Es geht nicht darum, sie final zu beantworten, sondern darum, sie immer wieder neu zu stellen, zu behandeln, zu durchdenken und vorläufig zu beantworten. Stets im Licht der gegenwärtigen Geschehnisse, sei es mitten in einem Krieg, in einer Krise, oder, wie immer, im nimmer ruhenden Wandel der Zeit.

Lesenswert: Kants vier Fragen vor dem Hintergrund der Digitalisierung, ausführlich und vorausschauend beantwortet von Florian Felix Whey im Beitrag DigiKant oder: Vier Fragen, frisch gestellt (Deutschlandfunk, 2019).

8 Gedanken zu „Kants vier Grundfragen“

  1. in der Auseinandersetzung mit meinem Sohn, einem Querdenker, versuche ich immer, mich an dem Kategorischen Imperativ zu orientieren. Leider nur mit mäßigem Erfolg: Bei den Querdenkern werden oft Vermutungen, Behauptungen, Unterstellungen, usw. zu Beweisen. Es ist fast unmöglich alles sauber zu trennen und einzuordnen.

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    • Ich weiß nicht, von welchen „Querdenkern“ Sie sprechen, Hr. Hartmut, aber es gibt nicht nur Querdenker und Halbwissende, die die momentane Situation kritisieren, sondern da draußen sind auch mehr als genug qualifizierte Epidemiologen, Ärzte, usw. vorzufinden, die die momentane Corona-Politik alles andere als gut heißen, die Unzulänglichkeit bzgl. der Impfstoffe, das nicht Vorhandensein von Langzeitstudien bzgl. der Impfstoffe, die völlig überzogenen Maßnahmen bzgl. Omikron-Variante (die deutlich milder ist), usw. kritisieren.

      Ich wäre zu dem vorsichtig mit dem Vorurteilen. Dasselbe was Sie „Querdenkern“ (was genau verstehen Sie darunter eigentlich?) vorwerfen haben bisher auch unsere „Experten“ getan, denn diese können bzgl. des Verlaufs der Pandemie ja auch lediglich nur behaupten, und mutmaßen, denn die Glaskugel haben die selbstverständlich auch nicht. Es gab auch viele Versicherungen seitens Politik, Medien und Ärzten, dass das ganze nur zwei Wochen dauern würde. Wie wir sehen, sind wir immer noch nicht aus der Nummer raus, da die Lage sich stetig ändert. Es wurde auch mal versichert: Ein Piks und dann sind wir durch, auch das hat sich geändert und mittlerweile gibt es bald schon die fünfte Boosterung, trotzdessen auch hier Ärtze davor warnen alleiniges Impfen einem gesunden Immunsystem vorzuziehen (siehe Dr. med. Dirk Wiechert), auch über die Anzahl der vorhandenen Antikörper, usw. wird kaum diskutiert in der Öffentlichkeit. Auch das der Genesenenstatus auf drei Monate verkürzt wurde, wurde zuvor noch dementiert und als angebliche Angstmacherei abgetan. Der Bundestag dagegen hat immer noch die sechsmonatige Frist und diese bisher noch nicht aktualisiert; Zuvor wurden durch einige Ärzte die Inzidenzrate als alleiniges Richtmaß kritisiert. Es entbrannten dann Diskussion z.B. zwischen Drosten und Streeck und weitere, später schließlich steckte man solche Ärzte, die die Inzidenzrate kritisierten, einfach unter Spinnern oder ignorierte diese. Ja, Sie haben richtig gehört, Fachärzte, die selbst sogar Epidemiologie als Fachrichtung studiert haben. Einige Monate später schließlich dann kam auf einmal das Umdenken und das RKI stellte daraufhin auf die Hospitalisierungsrate als Hauptindikator; Danach entbrannte wieder eine Kritik, die Hospitalisierungsrate ist ebenfalls nicht ausreichend. Man stellte wieder auf die Inzidenzrate um, behält aber die Hospitalisierungsrate trotzdem im Auge. Solche und ähnliche Widersprüche der Maßnahmen insgesamt finden sich, übrigens, zuhauf wenn man mal die Ohren spitzt und sich die Beschlüsse mal auch durchliest. Diese Widersprüchlichkeit verdeutlicht doch gerade eben wie wenig das RKI und die Regierung mit der Pandemie wirklich etwas anzufangen weiß.

      Alleine das Sie wissentlich den eher abwertend gemeinten Begriff „Querdenker“ verwenden und scheinbar nicht offen für Diskurse sind, zeigt doch, dass Sie nicht wirklich an einer Diskussion interessiert sind, sondern lediglich in Rechthaberei. Daher finde ich es etwas seltsam, dass Sie sich an dem kateg. Imperativ orientieren wollen, der ja auch gerade solche Stigmatisierungen als moralisch ungerechtfertigt feststellt. Ihr Sohn ist kein „Querdenker“ (und ich muss schon echt den Kopf schütteln, dass man das auch noch an den eigenen Kindern auslassen muss oder diese überhaupt als „Querdenker“ oder sonst etwas bezeichnet), sondern er hat lediglich eine andere Meinung zu diesem Thema, so wie viele Menschen zu vielen Themen andere Meinungen haben. Das macht sie noch lange nicht zu X oder Y. Sicherlich müssen diese Meinungen nicht der Wahrheit entsprechen, aber man muss eben auch in der Lage sein die Leute das denken zu lassen, was sie wollen, solange dies im Rahmen der Gesetzgebung ist und nicht in Gewalt ausartet. Zusätzlich hätten Sie ja auch nach besserer, qualifizierterer Kritik an der politischen und ärztlichen Handhabe der Covid-19 Pandemie Ausschau halten können, von der es, wie erwähnt, mehr als genug gibt von wesentlich qualifizierteren Personen mit Doktortitel und Fachwissen. Nur leider kommen diese Personen kaum zu Wort und müssen stattdessen auf ihren Blogs oder alternativen Plattformen ihre Expertise kundtun, weil man auf den großen Hauptplattformen diese Personen nicht dabei haben möchte. Wer sich natürlich immer nur die leicht zu entkräftende Kritik sucht (besonders eben auch leider von einigen Spinnern, die es halt immer mal gibt), der hat dann auch ein falsches, verzerrtes Bild von der allgemeinen Kritik der momentanen politischen Situation. So entstehen dann schnell Stigmata des Aluhut tragenden „Querdenkers“. So viel also zum „sauber trennen“ und einordnen 😉 Das erinnert mich an: „Wer im Glashaus sitzt…“

      Was uns der kategorische Imperativ also ebenfalls lehrt, Hr. Hartmut, ist der offene Diskurs und die Pluralität von Fachmeinungen, ohne die ein Finden einer gemeinsamen Lösung kaum möglich sein wird. Dieser offene Diskurs wird aber gerade von vielen Seiten unterbunden bzw. der Öffentlichkeit kaum zugänglich gemacht und handelt daher zuwider des kateg. Imperativ.

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    • Was ist für Sie ein Querdenker? Jemand der den vorgegebenen Denklinien widerspricht und alle Möglichkeiten in seine Überlegungen einbezieht – oder jemand, der Ohret Meinung widerspricht?

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  2. Das letzte was ich in den Kommentaren erwartet hatte ist die alte Impfdebatte. Normalerweise ermüdet mich die Diskussion mittlerweile – aber hier kam das ganze so überraschend, dass ich laut auflachen musste.
    Habe mich gefühlt als wurde ich grade „gerickrolled“, falls den Anwesenden dieses Konzept bekannt ist.

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  3. Es ist ganz einfach: Wissenschaft ist nicht statisch, Erkenntnisse nicht feststehend. Wissenschaft ist ein Prozess. Und wenn von sehr vielen Forschern auf der Welt festgestellt wird, dass die Impfung gegen Corona nicht so „save and effective“ ist wie man anfänglich gehofft hat (mittlerweile gibt das sogar Lauterbach zu), dann sollte das nicht als „Querdenkerei“ abgetan werden – damit wird man der Sache nicht gerecht und verhindert wissenschaftlichen Fortschritt – sondern die Argumente sollten sachlich für und wider abgewogen werden. So kann man sich eine Meinung bilden und diese verändert sich dann vielleicht im Lauf der Geschichte und der Geschehnisse. Ich wünsche Ihnen beim Lesen der oben genannten Quellen aus den Kommentaren viele neue Erkenntnisse und eine Erweiterung ihres Gesichtsfeldes! Und Hut ab vor dem mutigen Sohn, der es wagt, seinem Vater zu widersprechen. Schon Rudolf Steiner sagte, dass der Lehrer viel von seinen Schülern lernen könne. Und Diskussionen sind viel fruchtbarer, wenn wir mehr aufeinander hören und voneinander lernen, oder?

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  4. Liebe(r) Frau/Herr „Zuik97“ unter Querdenkern verstehe ich aggressive Rechthaber wie Sie, die einem ungefragt ihre Weltsicht aufdrängen wollen.

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